Kultur

Das Literarische WG-Casting – zwischen Büchern, Shots und Nachtaktivität

Am 25. Oktober ist es voll im Café Haag. Die Besucher*innen bestellen sich munter Tee, Kaffee und Bier, während vor ihnen auf der Bühne das erste Kennenlernen der potenziellen neuen WG-Mitbewohner*innen stattfindet. Auf der einen Seite lächelt Franziska Gänsler und auf der anderen schwingt Claudia Schuhmacher lässig die Beine übereinander. Was dieses Casting so besonders macht?  Neben Dos and Don’ts des WG-Lebens erzählen die beiden Frauen von ihren Romanen und wie es tatsächlich ist, den Alltag einer Autorin zu bestreiten.

Das Café Haag begrüßt seine Gäst*innen  im  gedimmten Licht und offener Bar.  Während auf der Bühne bereits drei Sessel stehen und in der Mitte ein kleiner Tisch auf dem sich die Bücher stapeln, erwartet das bereits sitzende und halb eintrudelnde Publikum die Mitbewohner. Um kurz nach acht wird die erste Kandidatin – Franziska Gänsler – auf die Bühne gebeten und das Publikum lauscht gespannt, als das Casting beginnnt.

Modedesign, Morgenroutinen und genialer Kaffee

Auf die Frage wie ihre Morgenroutine aussähe, überlegt die Autorin nicht lange und erzählt mit einem leisen Seufzer, dass  ihr Wecker normalerweise um 6:45 klingle. Dann würde sie zunächst ihr Kind und dann sich selbst für den Tag fertig machen und wenn das erstmal erledigt sei, würde sie selbst in den Tag starten. WG-Erfahrung hat  Franziska – wenn auch keine allzu langwierige. Dennoch strahlen ihre potenziellen künftigen Mitbewohner*innen bei der Frage,  was sie  denn in die Gemeinschaftsräume stellen würde:

“Wahrscheinlich meine Zitronenreibe. Und eine Kaffeemaschiene! Und ich mache guten Kaffee!“

Umso erstaunter ist das Publikum, als die Autorin von ihrem Werdegang erzählt. Tatsächlich begann dieser im Modebusiness und nicht vor der Schreibmaschiene. Die geborene Augsburgerin arbeitete zunächst bei einem der größten Modehäuser in Metzingen. Jedoch wurde ihr schnell klar, dass sie sich in diesem Unternehmen nicht wohl fühlte. Daher packte sie ihre Sachen und begann bei einem Modehaus in Berlin zu arbeiten, bevor sie endgültig das Handtuch schmiss und neu studierte. Danach fand sie nach und nach ihren Weg zum Schreiben.

Ewig Sommer

Franziska Gänsler ließt aus ihrem Roman: Ewig Sommer © Signe Gottschalk

Nach dieser Darlegung greifen die Moderator*innen zu  Franziskas Roman “Ewiger Sommer”, der vor ihnen auf dem Tisch gelegen hatte, und stellen die erste Frage: „Welche Frage, auf das Buch bezogen, kannst du nicht mehr hören?“ Sie rollt kurz mit den Augen: „Warum rauchen die so viel?“ und zieht amüsiert die Augenbrauen in die Höhe. Ein Instagramm-Nutzer poste die Frage sogar immer wieder auf ihrem Account, meinte sie.
Auf die Frage: „Würdest du denn irgendetwas an dem Buch ändern?“ kommt ein „Ja, Baby“, wie aus der Pistole geschossen. Sie hatte sich den Charakter eigentlich sehr uneitel vorgestellt, jemand der früher sehr attraktiv gewesen sei und es noch immer ist, auf eine gealterte Weise.  Im Buch jedoch bekam der Charakter etwas Abstoßendes und das hätte sie gerne geändert.

Bei dem Thema Plot wendet sich Caro den Waldbränden zu: „Wie zentral ist das Thema in dem Buch?  Und würde der Plot auch ohne die Brände funktionieren ?“.  „Natürlich würde der Plot noch funktionieren“, meint die Autorin schmunzelnd, „er wäre nur deutlich langweiliger“. Bei der Aktualität überlegt  sie eine Weile bevor sie fortfährt und meint, dass der Blick im Buch, wie auch in der Realität, auf dem Ignorieren liegt. Die Protagonisten beschäftigen sich zwar mit den Nebenwirkungen des Klimawandels, also den Bränden, aber nicht mit der Ursache selbst. Dafür haben sie einfach selbst zu viele eigene Themen im Leben. Und genauso verhält es sich ja auch im wahren Leben.  Für Aktivismus braucht man Zeit und die haben meistens nur Studierende.

Mitternachtskonzerte, ersterbende Gespräche und WG-Horrorstories

Die nächste Kandidatin ist Claudia Schuhmacher. Sie hat lockiges rotbraunes Haar und sitzt voller Elan in ihrem Sessel.  Sie erzählt den Moderator*innen, dass sie von Zuhause arbeite und gelegentlich der Gesprächskiller auf jeglichen Feiern sei sobald sie von ihrem Roman erzähle. „Nun ja, sobald mich eben jemand fragt worüber ich schreibe und ich dann mit: häuslicher Gewalt antworte, ist es auch wirklich schwer von dort an ein lockeres Gespräch weiterzuführen“ – sie zuckt mit den Schultern als hätte sie sich bereits daran gewöhnt.  Lachend erkundigt sich  Alex nach einer weiteren Angewohnheit der Autorin von der er bereits Geschichten gehört zu haben scheint. „Achso, ja manchmal spiele ich nachts Klavier, da ich nicht so gut schlafe. Aber es klingt gut“, ergänzt sie noch schnell. Immerhin ist das hier ein WG-Casting.

Bei der Frage nach WG-Erfahrung kann die Kandidatin punkten. Sie hat in mehreren gelebt, einmal in Berlin und einmal in Zürich. Dann macht sie mit der Hand eine ausschweifende Bewegung. „Ich habe sogar eine Horror-WG-Story: Ich war einmal in einer WG, bei der eine der Mitbewohnerinnen eine schwere Depression hatte. Das allein ist ja nichts Schlimmes, aber wir Anderen wurden dann irgendwie Co-depressiv und am Ende wurde ich sogar von dieser Mitbewohnerin rausgeschmissen“, sie zuckte die Achseln. „Scheinbar hatte ich zu viele Gäste, aber ich war froh. Erst als ich da raus war habe ich gemerkt, wie schlecht es mir eigentlich ging“.

Liebe ist gewaltig

Claudia Schuhmacher ließt aus ihrem Roman: Liebe ist gewaltig © Signe Gottschalk

Als Claudia Schuhmachers Roman gezeigt wird, ist Alex’ erste Frage: „Was hält dein Vater eigentlich von dem Buch?“ Der Raum erstarrt für einen Moment und alle Blicken kleben gespannt auf der Autorin, die ihren Roman “Liebe ist gewaltig” noch immer in den Händen hält. „Da mein Roman nur auf Recherche basiert, findet er es gut.“ Sie lächelt, während sich die kurzzeitige Spannung im Raum langsam wieder löst. Dennoch fragen die Moderatoren nach, wie die Autorin mit der grundlegenden Thematik, häusliche Gewalt, umgeht. „Also meine Protagonistin, Juli, möchte ihre Erfahrungen natürlich verdrängen, sie ist untherapiert und kann den Familienkontakt nicht wirklich abbrechen, was natürlich die Gesamtsituation verschlechtert. Es geht auch viel um die Frage: Wie kann man Liebe finden?  Beziehungsweise wie man gute Beziehungen finden kann. Warum Menschen ihren wichtigsten Menschen wehtun und warum Liebe und Gewalt so nah aneinander liegen. Und genau mit all diesen Fragen wird Juli  konfrontiert.“ Bei dieser Gelegenheit ergänzt die Autorin noch begeistert, dass ihre Protagonistin im Profi-e-gaming teilnimmt und, dass sie bei der Recherche tatsächlich auf eine junge Frau im Profi-gaming gestoßen sei, die den gleichen Namen wie ihre Protagonistin trug. Als Caro jedoch nachfragt, ob sie selbst E-Games spiele, schüttelt sie den Kopf und meint: „Nein, ich habe noch nie ein E-game gespielt, aber man muss nicht unbedingt etwas selbst erlebt haben, um darüber zu schreiben“

Ein Fazit

Eine der finalen Fragen der Moderator*innen lautet: Kann man vom Autorin-Dasein leben? Diese  Frage haben die beiden Autorinnen keine eindeutige Antwort. Während Claudia Schuhmacher meint, dass sie mittlerweile vom Schreiben leben kann, auch wenn sie hinzufügt, dass dies im Generellen : „(…) eine absolute Schnapps-Idee ist“. Sie selbst hatte lange Angst davor, sich ganz dem Schreiben zuzuwenden. Schließlich kleben die Klischees der brotlosen Kunst nicht ohne Grund an dem Metier. Doch schließlich kündigte sie ihren damaligen Job und fokussierte sich völlig auf ihr Manuskript. Sie isolierte sich teilweise sogar von Freund*innen, um sich dem Buch widmen zu können. Dann verriet Claudia Schuhmacher dem Publikum außerdem, dass ihr nächstes Projekt schon in Planung sei. Franziska Gänsler hingegen kann nicht allein vom Schreiben leben. Und das, obwohl ihr Debütroman, “Ewig Sommer”, nicht nur als “Klimaroman“ gepriesen wird, sondern sogar für den Klaus-Michael Kühne-Preis nominiert worden ist. Doch die finale Frage, wer nun das neue WG-Mitglied wird,  lassen die Moderator*innen dem Publikum offen.

Bilder: © Signe Gottschalk

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