Politik

Boris Palmer: Wenn ein Eklat einer zu viel ist

Boris Palmer hat sich in seinen 16 Jahren Amtszeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was Äußerungen zu bestimmten politischen Themen angeht, allen voran Migration. Seit geraumer Zeit ist er nun für seine teils rassistischen Äußerungen in Talkshows, aber hauptsächlich auch in den sozialen Medien bekannt.

Ein Kommentar

Palmers rassistische Aussagen haben Tradition: Da wäre die Werbung der Deutschen Bahn von vor ziemlich genau vier Jahren, in der unter anderem ein afrodeutscher Fernsehkoch aus Stuttgart und eine deutsch-türkische Moderatorin aufgetreten waren. Palmer war damals der Ansicht, weiße Deutsche ohne Migrationshintergrund seien hier unterrepräsentiert, was er natürlich gleich auf Facebook kundtun musste. Dann wäre da noch der völlig ausgeartete Facebook-Post Palmers vor anderthalb Jahren mit derben, rassistischen Beleidigungen gegen den deutschen Ex-Fußballer Dennis Aogo. Um einen Scherz soll es sich gehandelt haben – über dessen Angemessenheit muss allerdings wohl kaum diskutiert werden. Einige Monate später dann das Parteiausschlussverfahren der Grünen, und zuletzt vor knapp sechs Wochen die nächste skandalöse Äußerung zu der Ermordung des 23-jährigen Gambiers Basiru Jallow im Alten Botanischen Garten. Man sollte meinen, dass das bereits genug Anlass sei, um Boris Palmer zumindest aus der Partei zu verbannen, doch Parteiausschlussverfahren gestalten sich bekanntlich kompliziert. Das hat sich nun erledigt – aber bislang wurde jegliches Fehlverhalten, grundsätzlich rassistischer Art, weitestgehend hingenommen und toleriert, wenn auch mit weichen Worten verurteilt. Doch mit dem neuesten Eklat, diesmal aus Frankfurt, scheint auch Palmer selbst erkannt zu haben, dass er nun einen Schritt zu weit gegangen ist.

Alles gar nicht so gemeint?

Allerdings hat alles den Anschein, dass seine Ausrutscher eher auf ein rassistisches Menschenbild hinweisen, das er teilweise mehr zum Vorschein treten lässt als ihm selbst lieb ist. Vielmehr scheint es also der Fall zu sein, dass er mit seinen rassistischen Ansichten nicht hinter dem Berg halten kann, als dass er versehentlich unkluge Dinge sagt, die er so nicht meint. Allemal sind seine Äußerungen also freudsche Versprecher, die aber dennoch das Weltbild des Oberbürgermeisters erkennen lassen. Das ist durch die bewusste, vorsätzliche Vorverurteilung und Stigmatisierung Basiru Jallows als Drogendealer allein aufgrund seiner Nationalität und ohne jegliche polizeilich-statistische oder empirische Evidenz mindestens genauso klar geworden wie durch die jetzige Selbstinszenierung als Opfer einer bösen linken „Cancel Culture”, die ihn allein aufgrund seiner Wortwahl als rechtspopulistisch verunglimpfe.

Zum aktuellen Eklat: Ja, Palmer als „Nazi” zu beschimpfen und niederzubrüllen bei der Konfrontation vor dem Gebäude der Konferenz in Frankfurt letzte Woche war weder besonders klug noch anständig – auch wenn man es den Protestierenden kaum verübeln kann. Dennoch hat auch Palmer einen respektvollen und würdevollen Umgang verdient, gerade weil er diesen anderen verwehrt: Ein wechselseitiges Niedermachen führt schließlich keine Änderung herbei. Palmers Judenstern-Vergleich ist dadurch nicht eher angebracht, allerdings wohl tatsächlich eher ein Zeichen von Impulsivität und einer unbedachten Ausdrucksweise. Dass er die Problematik des N-Wortes immer noch nicht zu verstehen scheint, nicht verstehen will oder es ihm schlichtweg egal ist, und er sich so sehr über die Kritik an ihm aufgrund der Verwendung des Wortes aufregt, spricht natürlich trotzdem Bände.

Ob Rassismus oder nur unkluges Benehmen – zu viel ist zu viel

Man muss Palmer zugutehalten, dass seine Politik auf den Gebieten Wohnen und Mieten, Verkehr und Energie nach wie vor hohes Ansehen genießt. Es ist auch richtig zu sagen, dass viele seiner Entscheidungen Tübingen zu einer durchaus lebenswerten und sicherlich auch außergewöhnlichen Stadt gemacht haben (auch wenn man natürlich nicht alles ihm allein zuschreiben darf, es gibt ja schließlich nicht umsonst einen Gemeinderat). Dennoch muss Palmer verstehen, dass Person und Politik nicht immer trennbar sind: Seine öffentliche Wahrnehmung ist wichtig und schadet unserer Stadt inzwischen mehr als dass sie nützt. Das ist schade, da das auch schon anders war: Während der Corona-Pandemie gab es ein kurzes Zeitfenster, während dem Tübingen bundesweit als Vorreiter galt, dank einer lebendigen und gewillten Stadt, aber auch dank Palmers Tatendrang. Diese Zeit ist vorbei, jedenfalls im Moment. Und dafür ist er – zumindest in Teilen – selbst verantwortlich. Selbst wenn das Internet voll von Menschen ist, die geradezu auf den nächsten Fehltritt lauern, Palmer stürzt sich immer wieder absichtlich in die Schlacht, anstatt sich zurückzuhalten und sich auf seine Aufgaben als Kommunalpolitiker zu konzentrieren. Denn schließlich ist auch die folgende Frage nicht unberechtigt: Was macht der Bürgermeister einer baden-württembergischen Kleinstadt auf einer Debatte in Frankfurt, oder gar bei Markus Lanz?

Ob es nun Unwissenheit und Naivität, Ignoranz oder gar Kalkül ist, und ob die selbstgewählte Auszeit nur Selbstinszenierung und Teil des Opferkults ist – wer weiß. Es gäbe jedoch genügend Möglichkeiten, sich über die Problematik des Begriffs aufzuklären, wenn es ihm wirklich darum ginge. In jedem Fall machen ihn die Geschehnisse der vergangenen Monate und Jahre für das Amt als Oberbürgermeister inzwischen wenig tragbar. Ob es Zeit für einen Wechsel im Rathaus ist? Schlussendlich muss Palmer selbst entscheiden, ob ihm der Parteiaustritt genügt oder ob er vollends die Reißleine ziehen will. Doch vielleicht kann diese Entscheidung in Resonanz mit den Menschen in Tübingen, insbesondere den Wählerinnen und Wählern, geschehen.

Fotos: Isabel Jarama, Hannah Burckhardt

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