Unileben

FreeChatGPT!

Die Forschungsfirma OpenAI stößt November letzten Jahres die Tore zu einer revolutionär gehandelten Technologie auf. Nur wenig später patrouillieren alarmierte Lehrkräfte wie Wächter durch die umgepflügte Chatbot-Landschaft. Ihnen sitzt die Angst im Nacken, ihre Studierenden könnten sie mithilfe einer Tech-Revolution hinters Licht führen. Welches Potenzial besitzt ChatGPT tatsächlich und wie lässt sich noch mehr aus der Anwendung schöpfen? Ein Kommentar unserer Redakteurin.

ChatGPT – so erklingt es aus den Reihen – besitzt disruptives Potenzial. Es speist sich aus einer riesigen Textdaten-Menge, mitunter aus den Weiten des Webs, und generiert in Sekundenschnelle kohärente Antworten, indem es immer das nächst-wahrscheinlichste Wort an das vorige knüpft. Faszinierend, beängstigend. Aber auch eine gute Möglichkeit, Bestnoten zu erlangen, ohne selbst einen Finger krümmen zu müssen? Wie so oft kulminiert es im Negativen. Auch in einer Rundmail schlägt die Universität Tübingen im Militär-Ton an:

„VON CHATGPT ERSTELLTE TEXTE DÜRFEN NICHT VON STUDIERENDEN IM RAHMEN VON SCHRIFTLICHEN STUDIEN- UND PRÜFUNGSLEISTUNGEN VERWENDET WERDEN.“

Rundmail vom 31.01.2023

Rein für die Ästhetik würde ich – passend zur Großbuchstaben-Montur – noch glatt ein, zwei Ausrufezeichen anfügen. Doch auch ohne wird deutlich: Es herrschen Zucht und Ordnung beim Klau fremden Gedankenguts. Utopisch ist der Gedanke gewesen, eine nicht-kommerzielle Anwendung, die ausschließlich zum Wohle der Menschheit auf den Markt gebracht wurde, dürfte tatsächlich von Nutzen sein. Da kam die Realitätsschelle gerade noch rechtzeitig.

Unfair ist es schon. Endlich taucht ein Bot auf, der nicht willkürlich in DMs slidet und fragt, ob er Platz auf unserem Gesicht nehmen darf. Im Gegenteil: ChatGPT scheint ein anständiger und zurückhaltender Begleiter im Alltag zu sein – zumindest nach der Justierung, was die Reproduktion von rassistischem und sexistischem Gedankengut angeht. Wieso also nicht von diesem Stück Zukunft in der Gegenwart profitieren, bevor wir der Vergangenheit angehören? Die Menge an Geld, die der größenwahnsinnige Twitter-Käufer in diese Technologie gepumpt hat, soll doch nicht vergeudet werden. Aber nein, nicht einmal die Elon Musk’sche Wohltat sei uns gegönnt. Uns ist doch allen bewusst, dass uns reines Copy-Pasten von ChatGPT-Texten nicht zu Bestnoten verhelfen wird – unabhängig davon, ob es die prüfenden Augen der Lehrenden passiert, oder nicht?

Denn das reine Copy-Pasten von ChatGPT-Texten, so ist uns bewusst, wird uns nicht zu Bestnoten verhelfen – unabhängig davon, ob es die prüfenden Augen der Lehrenden passiert, weil einerseits das lästige Wiederaufgreifen der gestellten Frage zu Beginn einer Antwort und andererseits der immergleiche „Einerseits-Andererseits“-Argumentationsgang der KI charakteristisch für seinen monotonen Schreibstil sind. Auch das nahtlose Einbetten von kleineren und größeren faktischen Fehlern dürfte zu einem Fall auf der Notenskala führen. Unbegründet ist jedoch die Kritik, ChatGPT sei nicht kreativ. Zugegeben, an seinen Gedichten könnte die Anwendung noch feilen, aber beim Erfinden von Literaturangaben ist die kleine Hochstaplerin ganz vorne mit dabei. Dass von ChatGPT erstellte Texte daher kaum von menschlich produzierten zu unterscheiden sind, grenzt doch schon fast an Beleidigung. Ebenso, dass wir ohne Gegencheck von Fakten Honigbär-grinsend Absatz nach Absatz übernehmen würden. Diese Zeiten haben wir nach unseren 2010er Google-Translator-Eskapaden und den zerknirschten Gesichtern unserer Englisch-Lehrkräfte doch schon hinter uns gelassen.

Ironie beiseite und Butter bei die Fische: ChatGPT kann uns als wertvolle Stütze beim Verfassen jeglicher Texte behilflich sein. Die Betonung liegt auf „beim Verfassen“. Denn wieso sollten die kostbaren kognitiven Ressourcen des Tagesschau-Praktikanten für die fünfzigste Meldung, die Deutsche Bahn streike mal wieder, verbraucht werden? Allein der Effizienz zuliebe könnte ChatGPT all solche monotonen Aufgaben übernehmen und Hunderte von Versionen erstellen, deren inhaltlicher Gedanke der immergleiche ist – vor allem bei konstanter Qualität. Denn eine Technologie ohne Empfindungen kann auch keine Langeweile verspüren. Zudem ergötzen sich Leser*innen nicht unbedingt an der sprachlichen Schönheit von Pressemitteilungen oder Kurznachrichten. Also gebt dem armen Prakti endlich eine richtige Arbeit!

Bei anspruchsvolleren Aufgaben kann ChatGPT uns dabei helfen, strukturierter an unseren Schreibprozess heranzutreten. Es kann unsere verstreuten Gedanken ordnen, uns verschiedene Perspektiven bezüglich eines Themas aufzeigen und uns mit Formulierungshilfen dienen. Deswegen gehört ein solches Werkzeug, das in Zukunft sicherlich relevant bleiben wird, beherrscht. Wir wollen doch wettbewerbsfähig bleiben in einer so digitalisierten Welt. Bücher, Taschenrechner – ja das gesamte Internet – sie dürfen doch auch neben uns koexistieren, ohne, dass wir, mit zuckendem Auge, Zugangssperren an Schulen verhängen müssen. Yes, I’m looking at you New York.  

Schreibende Menschen daher aufgepasst: Um den Fuß in die Tür zu bekommen und verängstigte Lehrkräfte ein wenig zu ärgern … ich meine auf die Zukunft vorzubereiten (man bemerke den Rollentausch), kommen hier ein paar Tipps, um noch ein wenig mehr aus der Anwendung zu holen als vielleicht bisher geschehen.

  1. Ordne an, ChatGPT soll einen Experten simulieren nach dem Beispiel: Pretend to be a HR-Expert. How do I ask for a raise?
  2. Integriert Schreibstrategien in eure Anweisungen: Use persuasive language. Speak directly to the reader. Underline the arguments with examples. Etc.
  3. Lasst euren eigenen Schreibstil imitieren, indem ihr den Befehl gebt: Imitate the following writing style: *Einfügen einer eigen verfassten Textpassage*. Oder einen fremden: Write an advertising copy for the new Porsche in Goethe style. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen:
    Oh Porsche, thy power doth astound, as if from the heavens it was found. A masterpiece of art and speed, a driver’s dream, a racer’s need.
  4. Betrachtet ein Thema aus verschiedenen Perspektiven: Discuss the use of AI in universities from multiple diverse perspectives.
  5. Lasst euch die wichtigsten Eckpunkte zu bestimmten Werken in strukturierter Weise darstellen: Provide me with an outline for “Effi Briest” by Theodor Fontane.
  6. Gebt in euren Anweisungen möglichst ausführlich Kontext.

Lasst uns gemeinsam den Geburtsmoment von ChatGPT (und seinen KI-Geschwistern) feiern und von den neuen Möglichkeiten profitieren. Denn eine Untergrabung solcher Chancen allein aus dem Prinzip heraus ist nicht gerade wissenschaftlich. Oder wie ChatGPT selbst zu beruhigen versucht:

Ich bin darauf programmiert, menschenähnliche Sprachantworten zu generieren, aber ich habe keine eigenen Gedanken oder Gefühle. Ich bin nur ein Werkzeug, das verwendet werden kann, um Aufgaben zu erledigen oder Fragen zu beantworten. Also chillt.

(Der letzte Ausdruck entstammt dem Gedankengut unserer Redakteurin und wird als solcher gekennzeichnet, um falschen Schlüssen vorzubeugen, ChatGPT beherrsche nun auch Slang)

Foto:  https://openai.com/dall-e-2/

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1 Kommentar

  1. […] eingeschränkt werden sollten. Die Kupferblau berichtete bereits in Kommentarform über den Umgang mit ChatGPT an der […]

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