Politik

Tübinger Solidaritätskundgebung fordert mehr Unterstützung für Proteste im Iran

Seit im September 2022 die 22-jährige Mahsa Ahmini von der iranischen Sittenpolizei ermordet wurde, kommt es dort und im Ausland zu Massendemonstrationen gegen die Regierung. Am vergangenen Donnerstag versammelten sich Unterstützer*innen der iranischen Protestbewegung vor dem Rathaus. Den Veranstalter*innen geht es vor allem darum, gehört zu werden. Gerade von der studentischen Bevölkerung Tübingens wünscht man sich mehr Solidarität und Unterstützung.

Es ist nicht klar, wie viele Menschen genau mittlerweile im Iran in Folge der tödlichen Gewalt gegen Demonstrierende gestorben sind, nur dass es Hunderte sein müssen. Das Armed Conflict Locations and Event Data Project (ACLED), eine amerikanische Nichtregierungsorganisation, zählt mindestens 417 im Rahmen von Protesten Getötete, hinzu kommt eine unklare Anzahl von körperlich und seelisch Verletzten. In keinem anderen Land der Welt kam es seit Beginn der Proteste am 16. September letzten Jahres zu einer ähnlichen Anzahl an gewaltsam unterdrückten Demonstrationen (siehe Grafik 1).

„Wir wollen den Menschen in Deutschland zeigen, was unsere Leute im Iran durchmachen müssen.“ 

Shahram, Mitveranstalter der Kundgebung

Auf der Solidaritätskundgebung am Donnerstag stechen daher vor allem die großflächigen Plakate ins Auge, auf denen die Gesichter von ermordeten und inhaftierten iranischen Aktivist*innen gezeigt werden. Die meisten von ihnen sind sehr jung, oft noch Schüler*innen oder Studierende. Den Veranstalter*innen der Kundgebung ist es wichtig, gerade auch wegen der vielen Toten, weiterhin auf die Lage im Iran hinzuweisen. Hierzu kamen zeitweise bis zu 150 Personen auf dem Marktplatz zusammen.

Grafik 1: Die Protestbewegung im Iran wird extrem gewaltsam unterdrückt. In keinem anderen Land der Welt kam es seit Beginn der Massenproteste zu einer höheren Anzahl gewaltsam unterdrückter Demonstrationen.

Veranstalter*innen fordern einen Boykott der islamistischen Regierung Irans

„Hoffnung ist immer da. Das ist das erste Mal seit 43 Jahren, dass die Leute einig miteinander Hand in Hand auf den Straßen zusammenkommen, sowohl im Inland als auch im Ausland.“

Sam, Mitveranstalter der Kundgebung

Auf die Frage, ob man angesichts der massiven Gewalt gegen die demonstrierenden Iraner*innen noch Hoffnungen auf einen Erfolg der Protestbewegung habe, gibt sich der Mitveranstalter Sam jedoch zuversichtlich: „Hoffnung ist immer da. Das ist das erste Mal seit 43 Jahren, dass die Leute einig miteinander Hand in Hand auf den Straßen zusammenkommen, sowohl im Inland als auch im Ausland“. Gerade der Umstand, dass viele Exiliraner zunehmend Druck auf ihre Gastländer ausüben, die iranische Regierung zu boykottieren, könnte der Protestbewegung zum Durchbruch verhelfen, so die Hoffnung.

Neben der Unterdrückung der Bevölkerung wurden in den Redebeiträgen auch die massive Korruption der islamistischen Regierung Irans thematisiert. So stellt Redner Ali Gharagozlou fest, dass der Iran mit seinen Bodenschätzen eigentlich ein reiches Land sei, von dessen Reichtum allerdings bei der Mehrheit der Bevölkerung nichts ankomme. Vor kurzem erst veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation Transparency International ihren sogenannten Corruption Perception Index für das vergangene Jahr. Anhand dessen wird weltweit gemessen, wie korrupt die Verwaltung eines Landes ist. Der Iran gilt demnach als sehr korrupt (siehe Grafik 2).

Grafik 2: Die Regierung und Verwaltung im Iran sind sehr korrupt. In dem aktuellen Corruption Perception Index von Transparency International hat der Iran einen sehr schlechten Wert. Ein hoher Wert des Corruption Perception Index bedeutet dabei tendenziell weniger, ein niedriger Wert tendenziell mehr Korruption.

Im internationalen Vergleich sind autoritär regierte Staaten in der Tendenz dabei deutlich korrupter als demokratisch regierte (siehe Grafik 3). Wer es gewohnt ist in einer Demokratie zu leben, der vergisst leicht, dass in einer Autokratie wie dem Iran zu leben, eben nicht nur bedeutet, dass man bestimmte Rechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit kaum wahrnehmen kann, sondern dass damit auch einhergeht, dass Beamte systematisch ihre Macht missbrauchen und man sich davor oft nur mit  Bestechung schützen kann. Gerade deswegen ist es aus Sicht der Veranstalter*innen unangemessen, der islamistischen Regierung des Irans anders zu begegnen als mit einem vollständigen Boykott.

Grafik 3: Wie korrupt die Verwaltung eines Landes ist, hängt auch maßgeblich davon ab, wie autoritär oder demokratisch es regiert wird. Indem sich die Protestbewegung im Iran gegen die autoritäre islamistische Regierung ausspricht, geht sie damit auch gegen eine der Ursachen der Korruption vor.

Veranstalter*innen fordern, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen

„Wichtig ist, dass wir internationale Hilfe brauchen.“

Shahram, Mitveranstalter der Kundgebung

Zu den Anliegen der Veranstalter*innen gehörten dabei unter anderem auch die Forderung, dass die iranischen Revolutionsgarden, eine Art Staat im Staat und an der Niederschlagung von Demonstrationen besonders stark beteiligt, von der Europäischen Union als Terrororganisation anerkannt werden sollen. Dafür hatte sich bereits eine Mehrheit des Europäischen Parlaments am 19. Januar ausgesprochen. Die Entscheidung darüber kann allerdings nicht vom Europäischen Parlament sondern nur vom Europäischen Rat der Regierungschef*innen getroffen werden. Dennoch ist man zuversichtlich, was die internationale Unterstützung für die Iraner*innen angeht: „Wir sehen, wie sich das Europäische Parlament entschieden hat. Es ist wenig, aber wir sind auf dem richtigen Weg“, äußert sich einer der Mitveranstalter. 

Shahram, einem der Mitveranstalter der Kundgebung, ist es wichtig zu betonen, welche Bedeutung internationale Unterstützung für die Proteste im Iran hat.

Teilnehmer*innen wünschen sich mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung

Dabei treibt die Veranstalter*innen auch die Sorge um, dass die iranische Protestbewegung irgendwann in Vergessenheit geraten könnte. In der ersten Solidaritätskundgebung im November vor der Neuen Aula beklagten sich viele Teilnehmer*innen über die mangelnde mediale Aufmerksamkeit, sowohl gegenüber den Protesten im Iran als auch gegenüber den Solidaritätskundgebungen in Deutschland. Mittlerweile habe man eher das Gefühl wahrgenommen zu werden, äußert sich Mitveranstalter Sam gegenüber der Kupferblau. Dennoch klingt auf den Redebeiträgen der Kundgebung durch, dass die Veranstalter*innen nach wie vor befürchten, dass die Aufmerksamkeit schon bald schwinden könnte.

Die Zeit seit der ersten Kundgebung im November haben die Veranstalter*innen dafür genutzt, sich besser zu organisieren. Damals war der Anlass für die Kundgebung noch ein Aufruf der Organisation Iranian Scholars for Liberty gewesen. Mittlerweile agieren die Veranstalter*innen unabhängig. Man plane, sich von nun an alle drei Wochen zu weiteren Kundgebungen zu versammeln, kündigt Mitveranstalter Sam gegenüber der Kupferblau an.

Dabei wünschen er und die anderen Veranstalter*innen sich deutlich mehr Beteiligung der Tübinger*innen, insbesondere auch der studentischen Bevölkerung. Gerade von so einer akademisch geprägten Stadt wie Tübingen könne man eigentlich erwarten, so ein anderer Teilnehmer, dass die Stadtbewohner fähig und willens seien, die Bedeutung der iranischen Protestbewegung zu verstehen. Die Kundgebung am Donnerstag wurde unter anderen mithilfe des Tübinger Vereins „Frauen helfen Frauen“ und der Tübinger Ortsgruppe der Seebrücke durchgeführt. In welchem Ausmaß weitere Kundgebungen in Tübingen stattfinden können, hängt dabei auch von solcher und weiterer Unterstützung vor Ort ab.

Fotos: Thomas Kleiser

Grafiken: Thomas Kleiser

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