Kultur

Der 4. Kupferslam: Eine Herzensangelegenheit

Poesie, Selbstoffenbarung und tosender Applaus. Am Freitagabend fand im Tübinger Epplehaus der vierte Kupferslam statt. Vor einem dicht gedrängten Publikum demonstrieren die Slammer*innen Birgitta, Nadine, Sascha, Anka und Marie ihr lyrisches Können. Das Thema des Abends: Barrieren.

Der halbjährliche Kupferslam ist Tradition. Zum vierten Mal bietet der literarische Wettbewerb der Kupferblau lokalen Poet*innen die Chance, ihre lyrischen Werke auf der Bühne zu präsentieren. Das Angebot stößt auf lebhaftes Interesse – sowohl seitens der Slammer*innen als auch bei der Zuhörerschaft.

Der Einlass ins Epplehaus beginnt um 19 Uhr. Eine halbe Stunde später ist klar, dass der rege Andrang die räumlichen Kapazitäten weitaus übersteigt. Poesie-Enthusiasten stehen selbst im Treppenhaus noch dicht gedrängt – fest entschlossen, die poetischen Vorträge trotz visueller Barrieren zu genießen.

Moderator Hagen Wagner sorgt für den reibungslosen Ablauf des Abends.

Die Moderation übernimmt Hagen Wagner. Mit Eleganz und Humor führt der langjährige Kupferblau Redakteur durch den Abend. Nach einer musikalischen Eröffnung durch den Stuttgarter Künstler MAX PAUL sind die Regeln des Kupferslams ist schnell erklärt: Sechs Poet*innen – heute gesundheitsbedingt nur fünf – tragen nacheinander ihre Slams vor. Per “Briefwahl” entscheidet das Publikum, welche drei Slammer*innen in einer finalen zweiten Runde einen weiteren Text vortragen dürfen. Mittels “Ballwurf-Abstimmung” bestimmt das Publikum die*den Gewinner*in.

Die erste Runde

Birgitta Spiegelhalder liefert eine mitreißende Eröffnungs-Performance, die in Frustration und fehlgeleiteter Wut ihren Höhepunkt findet und auf einer gemessenen, reflektierten Note endet. Damit setzt die hauptberufliche technische Assistentin die Messlatte denkbar hoch. Für Birgitta ist die lyrische Selbstoffenbarung jedoch vor allem eines: “Eine Herzensangelegenheit”.

“Überangepasst sich selbst verleugnen / Ich hasse Menschen, die tun was sie wollen / Sich Rechte geben, die ich mir auch hätte zuschreiben sollen”

Birgitta Spiegelhalder, “Vor wem will ich noch gut dastehen”
Rhetorik-Studentin Nadine Brech überzeugt mit einer souveränen Performance.

Studentin Nadine Brech weiß sich mit einer humorvollen Interpretation Ihres Slams “Bonk” zu behaupten. Sie vergleicht die kleinen und großen Leiden des Lebens mit einem allgegenwärtigen Holzbalken, der unverweigerlich sein Ziel findet – “bonk”. Für Nadine häufen sich diese von Schmerz, Hilflosigkeit und Frustration geprägten Momente und rufen ein Gefühl hervor, dem wohl nur ein Wort gerecht wird: “Weltschmerz”.

Der dritte Slammer ist Kupferblau Redakteur und Gaming-Enthusiast Sascha Becker. Sein Vortrag examiniert gewisse Gefühls-bezogene Hindernisse des Heranwachsens. Sascha spricht von einer kindlichen Angst vor Kontrollverlust, unumgänglichem Schmerz und Schamgefühlen, die einer emotionsleeren Kälte weichen. Von emotionaler Entfremdung, die mit Wut, Trauer und Resignation einhergeht. Das Publikum reagiert mit anerkennendem Applaus.

Anka widmet den Slam ihren Mitbewohner*innen im Publikum.

Anka Ulbert folgt mit einer Hommage an “neun wunderbare Menschen und eine senile Katze”. Die Adressaten ihres Slams, sans greiser Stubentiger, sitzen im Publikum. Anka beschreibt, wie ihre zehnköpfige Wahlfamilie ihr Konzept von “Zuhause” verändert hat. Die Ode hinterlässt eine hoffnungsvolle Botschaft: Familie beschränkt sich nicht auf Blutsverwandtschaft. Vielmehr finden wir ein Zuhause dort, wo Liebe nicht schmerzt und unseren Fehlern mit Nachsicht begegnet wird.

“Ich komme aus einer Familie, wo mit Türen geschlagen, mit Worten geprügelt und mit Händen gelogen wird. […] Ich komme aber auch aus einer Wahlfamilie, wo die Türen geöffnet sind, mit Worten geliebt und Händen gegeben wird. […] Wenn ich an Zuhause denke, dann denke ich an neun wunderbare Menschis und eine senile Katze – und möchte vor Glück weinen, lachen und die Welt umarmen, dass ich die Chance hatte nochmal eine Familie zu finden.”

Anka Ulbert

Last, but not least: Marie Geisbusch mit “Symbiose”, einem Studienfach-bezogenen Slam. Die Geoökologie-Studentin ist es gewohnt, bei der Feldarbeit im Nationalpark mentale und physische Barrieren zu überwinden. Die Bühne im Epplehaus zu erklimmen erscheint da wohl eine Leichtigkeit. In ihrem Text kritisiert die 23-Jährige den Konsumwahn unserer modernen Gesellschaft sowie unsere selbstdestruktive Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur.

Ein fulminantes Finale

Nach einer wohlverdienten Pause, die MAX PAUL musikalisch umrahmt, verkündet Moderator Hagen Wagner die Publikums-gewählten Finalist*innen [Trommelwirbel]: Anka, Birgitta und Nadine.

Anka eröffnet die finale Runde mit einem Slam zum Umgang mit Trauer. Eines Mittwochs nähert sich der nebenberuflichen Marktverkäuferin eine ältere Dame ohne ihre gewöhnliche Begleitung. Ihre Bestellung kennt Anka auswendig: “Vier Gala Äpfel. 100 Gramm geputzten Ackersalat. Und ein Kilo festkochende Annabelle Kartoffeln – gleich große, [damit sie gleich schnell] kochen”. Doch in ihrer Rolle als “freundliche Marktverkäuferin“ ist sie sich ihrer Grenzen bewusst. Alles, was sie ihrer Stammkundin anbieten kann, sind: “Vier Gala Äpfel. 100 Gramm geputzten Ackersalat. Ein Kilo festkochende Annabelle Kartoffeln” und ein warmes Lächeln.

Birgitta greift das Thema ihres ersten Textes in der finalen Runde nochmals auf.

An diesen emotionalen Auftritt knüpft Birgitta mit “Es ist nicht der Kampf, der angebracht ist” nahtlos an. Dabei nimmt sie das Thema ihres ersten Textes wieder auf: Ihre persönlichen Kämpfe mit sich selbst. Die 29-Jährige verkündet selbstironisch, sie wünschte, sie könne über etwas anderes schreiben, jedoch sei es ihr Los “sich [fortwährend] derart zu entblößen”. Das Publikum weiß ihre Vulnerabilität zu schätzen.

“Ich habe da etwas zusammengereimt – pun intended”, mit diesen Worten leitet Nadine ihren finalen Vortrag ein. Beißend ironisch rechnet ihr Slam mit der hässlichen Realität verbaler sexueller Belästigung im Alltag ab. Mit viel Witz detailliert die Rhetorik-Studentin verschiedene Begegnungen, in denen sie vermeintlich an ihre kommunikativen Grenzen gerät. Nadines Performance erntet bestärkende Zurufe und tosenden Applaus.

“Doch nein, ich bin zu dumm / Und jetzt ist die Geschichte rum / Und er sicher niedergeschlagen / Weil ich konnte ihm nicht deutlich sagen / So romantisch er auch ist / Meine Kommunikations-Skills sind einfach Mist // Und wenn sich jemand hier jetzt fragt / Was die Alte da vorne eigentlich beklagt / Dann sag’ ich euch zu meiner Poesie / Das ganze war wohl Ironie”

Nadine Brech
Die Poet*innen verneigen sich vor dem Publikum – und wir uns vor ihnen. Ein gelungener Poetry-Slam am Freitagabend!

Nadine Brech geht als Siegerin aus einem Abend voll beherzter Lyrik hervor. Sie nimmt den Pokal – die Goldene Athene, Göttin der Poesie und des Kampfes – mit nach Hause. Ihren Dank widmet sie den Organisator*innen sowie dem Publikum. Wir von der Kupferblau schließen uns an: Herzlichen Dank an den Studierendenrat, dank dessen finanzieller Unterstützung der Abend möglich war, das Orga-Team und das Epplehaus, die Poet*innen und natürlich alle Zuschauer*innen. Wir freuen uns auf die nächste Runde!

 

Für weitere Klangerlebnisse

Musiker MAX PAUL sorgte am 03.02. nicht nur beim Kupferslam für musikalische Untermalung. Am selben Tag veröffentlichte der Stuttgarter sein erstes Album Impressions d’un autre mode – bestehend aus 13 Klavierstücken, von denen der Musiker verspricht, sie mit verbundenen Augen komponiert zu haben. Das Album findet ihr auf Spotify.

Finalistin Anka Ulbert betreibt gemeinsam mit Hagen Wagner, dem Moderator des Abends, den Podcast Kairophilie. Es geht um “Momente aus dem Marmeladenglas”. Hört gerne rein!

 

Fotos und Titelbild: Paula Baumgartner.

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