Kultur Theater

Applaus für den Minimalismus – Shakespeares Klassiker im Brechtbau-Theater

Am Donnerstagabend, 08.12, hieß es wieder “Bühne frei!” im Brechtbau-Theater. Auf dem Programm stand mit Shakespeares “Hamlet” ein Klassiker an. Diesmal standen aber nicht wie gewöhnlich die Provisional Players der Universität Tübingen auf der Bühne, sondern ein Gast-Ensemble von der European Theatre Group aus Cambridge. Doch was macht den Charme dieser Neuinszenierung aus? Wieso lohnt es sich auch heute noch, ein 400 Jahre altes Drama anzuschauen? Unser Redakteur war vor Ort und berichtet.

Disclaimer: Dies ist ein Theaterbericht. Im Folgenden wird sich auf „Hamlet“ von William Shakespeare bezogen. Da dies ein Klassiker des englischen Dramas und dessen Handlung allgemein bekannt ist, hat der Redakteur auf eine Inhaltsangabe weitestgehend verzichtet. Eine kurze Zusammenfassung zum erwähnten Drama findet sich hier. Für eventuelle Spoiler im Artikel übernimmt die Kupferblau keine Gewähr.

Es scheint auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Donnerstagabend im Brechtbau: Rauchende Studis unterhalten sich vor dem Eingang, aus der Cafeteria dringt verhaltenes Gelächter, die Liegewiese vor der Bibliothek leert sich allmählich. Allerdings scheint heute jedoch etwas anders zu sein: im Foyer, das zu dieser Zeit normalerweise eher verlassen wirkt, herrscht reger Andrang! Vor dem Brechtbau-Theater hat sich eine lange Schlange gebildet. Aufgeregt strömen die Menschen in den Publikumsraum, um sich dort dicht gedrängt einen Platz vor der Bühne zu sichern.

Reger Andrang im Foyer des Brechtbaus.

Auf den Plakaten am Eingang fällt eine Überschrift unmittelbar ins Auge: “Hamlet” by William Shakespeare. Vermutlich kennen die meisten der Anwesenden diesen Klassiker des Englischen Dramas schon längst, doch sie sind gekommen, um ihn von einem ganz besonderen Ensemble zu sehen: der Cambridge University European Theatre Group (kurz: ETG). Jedes Jahr im Dezember tourt diese traditionsreiche Gruppe durch Europa, um Shakespeares Dramen für ein modernes Publikum zugänglich zu machen. Dieses Jahr geht es unter anderem nach Antwerpen in Belgien, nach Bern, Konstanz und … Tübingen! Das Schauspielensemble wie auch die Crew besteht im Wesentlichen aus Student*innen. Die jungen Theaterbegeisterten haben von der Inszenierung, über die Vermarktung bis hin zur Technik und logistischen Organisation der Tour alles selbst auf die Beine gestellt.

Ein Klassiker modern übersetzt

Als das Stück beginnt, wird deutlich, dass es sich hier durchaus um eine modern-inklusive Adaption des Shakespeare’schen Dramas handelt: nicht nur die Kostüme sind gegenwärtig, auch die Besetzung der Charaktere scheint ein Statement zu aktuellen Gender-Debatten zu sein. So wird Gertrude, die Mutter von Hamlet und Frau von Claudius, von der transsexuellen Schauspielerin Laurie Ward besetzt. Hamlets „Freunde“ Horatio und Rosenkrantz werden von zwei weiblichen Darstellern gespielt (Joy Adeogun und Coco Wheeler), ebenso wie der Berater am Königshof Polonius (Jemina Langdon).

Das Einzige, woran mensch merkt, dass es sich hier um die Aufführung eines 400 Jahre alten Dramas handelt, sind der Sprachstil und die berühmten Schlüsselszenen Hamlets, welche mittlerweile als Grundmotive europäischer Kulturgeschichte gelten dürften – so zum Beispiel die Paradoxie aus Gut und Böse, Wahnsinn und Vernunft, Rache und Gerechtigkeit oder nicht zuletzt das existenzialistische Credo „To be, or not to be, that is the question!

Claudius (Mark Jones, Mitte) beschwichtigt Hamlet (Jacob Benhayoun, links), während Gertrude (Laurie Ward, sitzend) und der Rest des Hofstaates den gesprochenen Worten lauschen.

Ohne Zeit und ohne Ort

Die Inszenierung bleibt der Originalfassung von Shakespeare weitestgehend treu. Es braucht eine Weile, bis sich das Publikum an den Sprachduktus des elisabethanischen Zeitalters gewöhnt und die unterhaltsamen Dialoge des Stückes mit Schmunzeln und leisem Kichern begleitet. Die dargestellten Szenen aus dem Drama erscheinen jedoch eher fragmentarisch, teils surreal und von zeitlicher Reihenfolge entkoppelt. Wie für Hamlet verschwimmen auch für das Publikum die Grenzen zwischen Illusion und Realität. Dazu meint Ilona Sell, die Regisseurin des Stückes:

“We’d like the play to hold the memory of its original setting whilst being outside of a specific time or location … We want the character’s presentation to fall somewhere between their reality and Hamlet’s impression of them. This will allow further ambiguity to cast over the events the audience sees unfolding and whether Hamlet is able to trust his mind.”

Fokus auf das Wesentliche

Die Zeitlosigkeit des Stückes wird dabei auch vom minimalistisch gestalteten Bühnenbild vermittelt. Ein weißer Vorhang und eine Holzbox zum Sitzen sind alles, was den Schauspieler*innen auf der Bühne zur Verfügung steht. Durch geschickten Einsatz von Licht und Schatten, ausdrucksstarken Gesten und sprachlichem Talent gelingt es dem Cast jedoch auf einzigartige Weise, eine Spannung und Immersion zu erzeugen, die dem Publikum den Atem raubt. Eine durchaus beachtliche Leistung in einer Zeit, wo ständig von medialer Überreizung und sinkenden Aufmerksamkeitsspannen geredet wird.

“Hamlet is a play of lost innocence, and the most pronounced, perhaps, is the audience’s. I think that this captures part of the play’s magic. When the audience begins they are immersed in their own lives and presented with a man who is consumed by ghosts and possible insanity. When they leave they have lost certainty over who is good and over who is sane and have to grapple with the uncertainty and unfinishedness that the play pushed onto them.”

~ Ilona Sell, Regisseurin

Nach gut zweieinhalb Stunden und einem schauspielerischen Bühnenmassaker, das seinesgleichen sucht, ist die Menge außer sich und entbricht in breiten Applaus und Jubelrufe. Es ist schon bemerkenswert, zu sehen, welche Begeisterung und Faszination Shakespeares Dramen auch heute noch entfalten können. Das Anliegen der Theatergruppe aus Cambridge scheint damit aufgegangen zu sein. Wer im CoViD-Lockdown den Theatergang unterbrechen musste, hat spätestens an diesem Abend und Ort wieder Lust auf den Zauber des guten Schauspiels bekommen. Damit geht ein Abend im Brechtbau zu Ende, der den Besucher*innen des Brechtbautheaters noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Beitragsbild und Fotos: Hagen Wagner

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