Politik

Interview mit Ulrike Baumgärtner

Die Grünenpolitikerin Dr. Ulrike Baumgärtner möchte neue Oberbürgermeisterin von Tübingen werden. Im Interview mit der Kupferblau spricht sie über ihren Visionen für die Tübinger Zukunft und über ihre persönliche Vergangenheit mit Boris Palmer.

Seit Baumgärtner an der Universität Tübingen Politikwissenschaft studierte, fühlt sie sich mit der Stadt verbunden. Zu Palmers Zeiten im Landtag war sie seine persönliche Mitarbeiterin. Sechs Jahre lang war sie Fraktionsvorsitzende der Grünen im Tübinger Gemeinderat. Derzeit ist sie Vorsitzende der Grünen Kreistagsfraktion sowie Ortsvorsteherin von Weilheim. Gemeinsam mit ihrem Ehemann hat sie drei Kinder.

Kupferblau: Warum haben Sie sich zur Kandidatur entschlossen?

Dr. Ulrike Baumgärtner: Ich mache seit bald 15 Jahren in Tübingen Kommunalpolitik als Ehrenamtliche. Und es macht mir viel Spaß, Leute zusammenzubringen und Projekte anzustoßen. Ich bin in Weilheim Ortsvorsteherin und es ist mir wichtig, das Dorf mitzugestalten. Das möchte ich nun gerne zu meinem Beruf machen, deswegen habe ich mich beworben.

Warum sind Sie die Richtige für das Amt?

Ich glaube, wir leben in herausfordernden Zeiten, in vielerlei Hinsicht. Ich möchte Integration und nachhaltige Kommunalpolitik vorantreiben. Das heißt für mich, Klimaschutz und Biodiversität zusammenzudenken. Die lebendigen und solidarischen Quartiere zu stärken und den vielfältigen Wirtschaftsstandort von Handwerk über Cyber-Valley bis hin zu Kreativen und Landwirtschaft im Blick zu haben und zu fördern.

“Wichtig [bei der Förderung der Partyszene] ist mir, dass es Bereiche gibt, die nicht komplett vorstrukturiert und kommerzialisiert sind, sodass sich Subkulturen bilden können, und die Szene den Studierenden selbst gehört.”

Dr. Ulrike Baumgärtner

Sie haben bereits in einem Statement gegenüber der Kupferblau gesagt, dass Sie Studierende am Gespräch beteiligen möchten. Wie wollen Sie das umsetzen?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, zu Bürgerversammlungen häufig die gleichen Menschen kommen: Die, die Zeit haben, die Sprache gut beherrschen und eher älter sind. Deswegen möchte ich gemeinsam mit der Studierendenvertretung überlegen, welche Formate Studierende ansprechen, ob online oder als Event. Auf diese Weise möchte ich mehr Vielfalt in der politischen Beteiligung für Tübingen erreichen. Studierende sollen so einen Bezug zur Stadt gewinnen. Ich selbst hatte keinen, als ich vor vielen Jahren mein Studium angefangen habe – was ich schade finde. Denn Studierende müssen sich dann mit der Situation abfinden, obwohl sie eigentlich Einfluss nehmen könnten. Dazu möchte ich Räume in der Uni schaffen, die nicht nur aufs Lernen ausgerichtet sind.

Ihnen ist es wichtig, Kunst, Kultur und die Partyszene zu fördern. Welche Ideen haben Sie?

Für eine lebendige junge Stadt wie Tübingen sind Orte zum Weggehen wichtig. Corona hat uns durch alle gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen in dieser Hinsicht einen riesigen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir diesen Bereich wieder fördern können. Der Europaplatz wird gerade neu gestaltet und ich finde, dass dort eine Partylocation Platz hat. Auch an den etablierten Orten in der Altstadt gehören Weggehmöglichkeiten dazu. Wichtig ist mir dabei, dass es Bereiche gibt, die nicht komplett vorstrukturiert und kommerzialisiert sind, sodass sich Subkulturen bilden können und die Szene den Studierenden selbst gehört.

“Ob wir irgendwann nochmal einen Vorstoß mit einem Schienensystem machen oder andere Verkehrskonzepte befürworten werden, möchte ich in einem Bürgerinnenrat mit Expertinnen und zufällig ausgesuchten Einwohner*innen diskutieren.”

Dr. Ulrike Baumgärtner über die Stadtbahn

Was möchten Sie umweltpolitisch bewirken?

Zentral ist der Klimaschutz. Ich habe drei Kinder und möchte, dass sie die gleiche Lebensqualität wie ich haben. Deswegen ist unsere Generation in der Verantwortung zu handeln. Dazu müssen wir Energiewende und Artenschutz zusammenbringen – und nicht gegeneinander ausspielen. Ich möchte in der Stadt alte Bäume erhalten, in Neubaugebieten Begrünungsanlagen und Wasserelemente stärker berücksichtigen, um ein gutes Mikroklima zu fördern und um die zukünftig häufiger werdenden Hitzesommer abzumildern.

Was sind Ihre Pläne im Bereich Verkehrspolitik?

Die große Idee war die Regionalstadtbahn – ein gigantisches Projekt, welches ich sehr unterstützt habe. Es wäre eine gute Möglichkeit gewesen, die Region, die Stadt und den Klimaschutz zusammenzubringen. Der Gewerbebereich hätte ebenfalls viel davon, wenn es eine klimafreundliche Verkehrsanbindung der Region nach Tübingen gäbe. Die Wohnungssuche wäre auch erleichtert: In der Stadt gibt es kaum noch Zimmer zu bezahlbaren Preisen, weswegen wir die Region miteinbeziehen müssen. Dann allerdings an guten Haltepunkten, denn man soll noch zur Uni oder einer Party kommen. Der Bürgerentscheid hat die Innenstadtstrecke leider abgelehnt. Doch die Bevölkerung befürwortet die regionale Anbindung. Deswegen werden wir nun erstmal die regionale Stadtbahn umsetzen. Die Anbindung in die Innenstadt wird über Buslinien laufen, die die Hauptarbeitgeber, die Kliniken und die Universität, ansteuern. Ob wir irgendwann nochmal einen Vorstoß mit einem Schienensystem machen oder andere Verkehrskonzepte befürworten werden, möchte ich in einem Bürger*innenrat mit Expert*innen und zufällig ausgesuchten Einwohner*innen diskutieren.

Es geht mir vor allem darum, ein attraktives Angebot zu schaffen, dass die Leute auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Dabei müssen wir die Bedürfnisse der Arbeitenden abdecken. Wenn keine Öffentlichen fahren, sobald die Schicht einer Pflegekraft beginnt, wird sie oder er weiterhin mit dem Auto fahren müssen.

Die Stärkung der Aufenthaltsqualität halte ich ebenfalls für einen zentralen Punkt. Ich möchte den Fußgänger*innen in der Altstadt ganz klar die Vorfahrt geben. Die Altstadt ist ein Schlender-Bereich zum Einkaufen. Dazu möchte ich den Verkehr dort noch weiter verringern. Für individuelle Paketlieferungen finde ich eine zentrale Station am Haagtorplatz gut. Autos sollten nur noch mit berechtigtem Grund in die Altstadt fahren dürfen. Die Anlieferung der Läden, Anfahrten für Handwerker*innen oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Anwohner*innen wären für mich solche berechtigten Ausnahmen. Außerdem möchte ich Alternativen wie Lastenräder oder Teilautos besser und systematischer fördern. Denn wenn es eine sinnvolle Alternative zum Auto gibt, nehmen das die Leute an. Zum Wohlfühlen gehören noch mehr Sitzgelegenheiten, Bäume oder Wasserspender. Es wird heiß werden – und darauf müssen wir vorbereitet sein. Das gilt für die Universität genauso wie für die Innenstadt. Die Wilhelmstraße kann ich mir als verkehrsberuhigten Bereich vorstellen, sodass der Weg von der Mensa zur Bibliothek einfacher wird.

Wie möchten Sie die Wohnungssituation für Studierende besser machen?

Es ist schon seit Jahrzehnten so, dass Wohnen immer teurer wird. Bisher hat man versucht, immer mehr Wohnungen zu bauen, was ein Stück weit richtig ist. Doch man kommt nicht aus der Logik raus, dass privat Vermietende immer mehr Gewinn mit der Miete machen wollen. Trotz des Mietspiegels ist der Anreiz für Private hoch, zu denken: „Ich krieg die Miete in Tübingen? Ich will die Miete in Tübingen.“ Wir müssen es schaffen, dass die Wohnungen nicht mehr von Privaten, sondern von Öffentlichen vermietet werden. Von der Kommunalen Wohnungsgesellschaft oder von gemeinwohlorientieren Akteuren wie Genossenschaften. So können wir einen Mietpreis auf sozial verträglichem Niveau festlegen.

Andererseits haben wir in der Stadt viel Wohnraum, der noch besser ausgenutzt werden könnte. Zum Beispiel von älteren Menschen, denen ihre Wohnung zu groß ist. Für sie möchte ich ein gutes Angebot im Bereich Pflegewohnen schaffen, das für sie attraktiv ist und das sie sich leisten können. Mein Plan ist es, dass die Stadt ihnen beim Wechsel ins Betreute Wohnen hilft und es so anderen Menschen ermöglicht, in die frei gewordenen Wohnungen einzuziehen.

Ulrike Baumgärtner bei der Podiumsdiskussion der OB-Kandidierenden

Was halten Sie von Maßnahmen zur Enteignung von Grundbesitzer*innen, die ihre Grundstücke nicht nutzen?

Ich finde es richtig, alle Maßnahmen zu nutzen, um an zusätzlichen Wohnraum in Tübingen zu kommen. Für mich ist es schwer zu ertragen, dass es so viele Menschen ohne Wohnung gibt und andererseits welche, die sich nicht für ihr unbebautes Grundstück interessieren. Der Gemeinderatsbeschluss steht, jetzt müssen wir die Umsetzung weiter vorantreiben und den Besitzer*innen ein faires Angebot zum Verkauf machen.

In einem Interview sagten Sie, Sie unterscheiden sich in Bezug auf Migration von Palmer. Wie möchten Sie die Migration in Tübingen unterstützen?

In Tübingen haben wir viele verschiedene Formen der Migration. Die Universität ist ein Zugpferd für viele ausländische Studierende oder Forschende. Aber auch viele Geflüchtete leben hier. Ich möchte eine neue Willkommenskultur in der Stadt etablieren. Das fängt beim Ankommen in der Stadt an. Ich möchte eine Anlaufstelle für alle Dienstleistungen – von Einwohnermeldeamt über die Wohnungssuche bis zu Sprachkursen. Dieses Willkommenszentrum soll alle Leistungen kombinieren und übersichtlich vermitteln.

Zusätzlich möchte ich die Stadtteiltreffs stärken und finanziell ausstatten, sodass sie zur Beratung oder beim Wunsch nach Kontakt dienen. Ich wünsche mir, dass die Menschen bei einem Kaffee oder in einem Gemeinschaftsgarten miteinander ins Gespräch kommen und wir so besser einschätzen können, was wirklich gebraucht wird. Kleinere Einrichtungen werden meiner Erfahrung nach besser angenommen als zentrale Stellen in der Innenstadt.

Sie waren die persönliche Mitarbeiterin Palmers. Warum haben sie sich auseinanderentwickelt? Waren die Gründe persönlich oder politisch?

Ich glaube, wir haben uns gar nicht so sehr auseinanderentwickelt. Ich war seine persönliche Mitarbeiterin, als er im Landtag war. Wir haben uns aber auch danach noch gut verstanden, als wir beide im Gemeinderat waren. Da haben wir viele Projekte gemeinsam durchgebracht. An der einen oder anderen Stelle haben wir den kultivierten Streit gepflegt, um zu zeigen, dass es innerhalb der Partei unterschiedliche Sichtweisen gibt. Unser Verhältnis ist auch während des Wahlkampfs weiterhin gut. Meine Motivation ist nicht, ihm eins auszuwischen. Ich kandidiere, damit es eine echte Auswahl gibt – einerseits für die Bevölkerung, aber auch für die Grünen. Nach 16 Jahren kann man sich schon überlegen, mit welcher Person man weiterhin ins Rennen gehen möchte.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass sich die Stimmen der Menschen, die früher die Grünen gewählt haben, zwischen Ihnen und Palmer so ungünstig aufteilen, dass am Ende keiner von ihnen gewählt wird?

Ich bin mir sicher, dass das Ergebnis sehr knapp ausfallen wird. Tübingen hat ein heißes Rennen um die Stadtspitze verdient. Der erste Wahlgang ist am 23. Oktober und ich gehe nicht davon aus, dass da eine Person schon über fünfzig Prozent erreicht. Denn Boris Palmer und ich sprechen mit unserem jeweiligen Politikstil teilweise recht unterschiedliche Wählergruppen an.

Beitragsbild: Ulrike Baumgärtner

Foto: Anne Burckhardt

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