Unileben

Sommer, Sonne, Social Media. Ein Kommentar zu Body Positivity

War der August eigentlich schon immer ein so ereignisloser Monat? Bisher war mir nicht bewusst, dass es das Sommerloch nicht nur in den Medien, sondern auch im Alltagsleben gibt. Keine Veranstaltungen finden statt, Mitstudierende sind im Urlaub oder bei ihren Familien, und sogar die Restaurants machen Sommerpause. Wenn ich so darüber nachdenke, waren die Sommerferien schon in meiner Kindheit eine Zeit, die zu großen Teilen aus Lesen und Nachdenken bestand. Auch aus Nachdenken über Dinge, über die man vielleicht lieber nicht nachdenken würde. Zum Beispiel den eigenen Körper, oder den anderer Frauen, auf den der Blick am Strand oder im Freibad fällt.

Es kann seine Vorteile haben, wenn man gezwungen wird, über die Komplexe und Unsicherheiten und Ängste nachzudenken, die das ganze Jahr über unter der Oberfläche brodeln. Wenn die Ablenkungsmöglichkeiten fehlen, tritt zutage, was uns heimlich das Leben schwer macht, und kann verarbeitet werden. Aber für manche Probleme gibt es möglicherweise keine Lösungen. Wir leben nun mal in einer Welt, in der nur schlanke Körper mit bestimmten Proportionen als schön gelten. Kann man sich da als Frau, die diesem Idealbild nicht entspricht, überhaupt jemals wirklich schön fühlen?

Body Neutrality funktioniert auf Social Media nicht

Und wenn der Bewältigungsmechanismus des Einfach-Nicht-Drüber-Nachdenkens ganz gut funktioniert, warum dann nicht weiter machen? Nun, weil wir in einem Sommerloch stecken. Und weil wir unsere Nase nicht nur in Bücher stecken, sondern auch in unser Handy. Weil uns nicht nur im Freibad die Körper anderer Frauen begegnen, sondern auch auf Instagram. Und obwohl Body Positivity (den Körper schön finden) inzwischen vielerorts kritisiert wird, und Body Neutrality (nicht über das Aussehen des Körpers nachdenken) als Alternative vorgeschlagen wird, funktioniert Body Neutrality auf Instagram nicht so gut. Sobald man seinen Körper im Internet zeigt, begibt er sich in diesen ganzen Komplex aus Normen und Idealen, und nimmt darauf Bezug. Eine schlanke Frau, die ihren Körper postet, affirmiert die Ideale, wird zum Objekt der positiven Bewertungen und des Neids. Und eine dickere Frau wendet sich gegen die Ideale, gilt als mutig, als Beispiel für Body Positivity. Der Körper einer dickeren Frau ist ein politisches Statement, der Körper einer schlanken bestätigt ein Ideal. Doch rauskommen aus diesen ganzen Normen und Idealen tut man nicht. Bewertet wird immer.

Die Redakteuerin tat sich schwer damit, passende Bilder für den Artikel auszuwählen, die nicht in die Falle von Normen-Reproduktion durch das Zeigen von Körpern im Internet tappen.

Mir geht es wie vielen anderen Frauen: Mir Body-Positivity-Posts anzuschauen, leistet meinem Selbstbewusstsein oft keinen Vorschub. Ich setze die Brille der Normen auf, und vergleiche meinen Körper mit dem geposteten, bewerte, betrachte ganz genau. Der Körper, den ich anschaue, ist für mich kein menschlicher Körper, er ist nicht mal ein sexuelles Objekt oder so etwas, sondern er wird nur unter dem Kriterium der Schönheit betrachtet. Indem man auf die Normen Bezug nimmt – und das tut man auf Social Media allein dadurch, dass man seinen Körper zeigt – und wenn es auch ablehnend ist, bestätigt man sie in gewisser Weise. Wer andere dazu auffordert, ihren Körper zu lieben, selbst wenn er so aussieht wie der eigene, bestätigt damit unwillentlich die Vorstellung, dass mit ihrem Körper irgendetwas nicht stimme.

Das ewige Dilemma: Reproduktion durch Benennung

Mit diesem Dilemma beschäftigen sich Sozialwissenschaftler*innen verschiedenster Fachrichtungen schon seit Jahrzehnten, und es gibt die unterschiedlichsten Lösungsvorschläge. Radikalfeminist*innen in den 80ern wollten Weiblichkeit zelebrieren, Queerfeminist*innen in den 90ern die Kategorie Frau abschaffen. Max Czollek spricht in seinem Buch „Desintegriert euch!“ von einem ewigen Widerspruch: „Ich denke, dass die Reproduktion eines Problems durch dessen Benennung nicht zu vermeiden ist.“ Die Feministin Kimberlé Crenshaw äußert sich zu dem Dilemma folgendermaßen: „An dem jetzigen Punkt der Geschichte spricht vieles dafür, dass die beste Widerstandsstrategie entmachteter Gruppen darin besteht, eine Politik der sozialen Verortung einzunehmen und zu verteidigen, anstatt sie aufzugeben und zu zerstören.“

Bedeutet das, dass die Body-Positivity-Seiten die traurige Wahrheit aussprechen, die ich nicht bereit bin zu hören? Und warum denke ich mir dann bei der Konsumption dieses Contents manchmal: „Oh, diese Art von Körper wird also diskriminiert? Und ich dachte, so auszusehen wäre ganz okay.“

Brennglas Internet: Diskriminerung10

Ich vermute, dass das nicht daran liegt, dass die Influencerinnen aus einer Mücke einen Elefanten machen und Probleme schaffen, wo keine sind, sondern daran, dass in zwei unterschiedlichen Sphären unterschiedliche Regeln herrschen: Internet und Real-Life. Während ich mir im echten Leben kaum je negative Kommentare wegen meines Körpers anhören musste, werden Influencerinnen, die genau aussehen wie ich, im Internet täglich schwer beleidigt.

Einerseits liegt das daran, dass die Hemmschwelle im Internet niedriger ist, dass aufgrund der Anonymität oder fehlenden Konsequenzen fürs Sozialleben Dinge ausgesprochen werden, die im echten Leben in den Köpfen bleiben oder hinter vorgehaltenen Händen geflüstert werden. Andererseits liegt es an dem bereits erwähnten Filter, mit dem wir Körper auf Social Media betrachten. Körper, die uns im Internet begegnen, sind entweder schön oder nicht. Körper, die uns im echten Leben begegnen, leben, atmen, sind verletzlich. Sie tun Dinge, sie tragen die Menschen durch den Tag. Sie können lieb haben oder lieb gehabt werden.

Die Redakteurin möchte ausdrücklich betonen, dass sie nichts dagegen hat, wenn Menschen ihren Körper im Internet zeigen. Sie glaubt nur, dass es nicht die alleinige Lösung des Problems sein kann.

Wenn wir im Schwimmbad den Körper einer anderen Frau sehen, werden wir ihn vielleicht mit unserem vergleichen oder beneiden, doch in erster Linie wird er ein Körper bleiben, der zu einer lebendigen Person gehört. Ein Körper, der gerade schwimmt oder umher geht oder sich duscht, ein Körper mit zwei Augen dran, die mich sehen können, und einem Mund, mit dem ich sprechen kann. Der Körper, der uns auf Social Media begegnet, ist nicht einmal lebendig; er ist von seiner Hauptfunktion, Leben zu bergen, entbunden. Und dadurch, dass wir ihn so ausführlich und unverschämt betrachten können, wie wir wollen, ohne dass uns je der Blick des Menschen, der in ihm wohnt, begegnet, vergessen wir, dass es diesen Menschen gibt.

Der Schwund der echten nackten Körper

An dieser Stelle möchte ich doch noch ein paar Hoffnungen in den Sommer setzen. Er gibt uns zwar Gelegenheit, uns zu viel auf Social Media rumzutreiben, und uns viele Gedanken zu machen, doch er treibt uns auch in die Freibäder und an die Strände, wo wir echte Menschen in echten Körpern sehen. In den öffentlichen Duschen gibt es sogar echte nackte Körper zu betrachten, und das ist in unserer derzeitigen historischen Epoche eine Seltenheit. Ist euch schon mal aufgefallen, dass es meistens die älteren Frauen sind, die in den Gemeinschaftsduschen die Hüllen fallen lassen? Das mag an den Unsicherheiten liegen, die mit den Jahren natürlicherweise schwinden, doch man könnte auch einen Zusammenhang zur Mentalität unserer Generation herstellen.

Die Lebensreformer riefen um 1900 die Freikörperkultur ins Leben, und FKK-Baden war in der Jugend unserer Eltern weit verbreitet. Die jüngere Generation hingegen kennt nackte Körper hauptsächlich aus dem Internet oder aus seltenen sexuellen Begegnungen (Studien ergaben, dass Menschen heute seltener Sex haben; Schuld ist möglicherweise Online-Dating), und das ist ein Problem. Denn Schönheitsnormen auf Social Media sind nicht nur omnipräsent, sondern auch immer noch sehr wirkmächtig. Auf einen Body-Positivity-Account kommen dutzende normschöne, und auch wer einige „Makel“ besitzt, ist dennoch bemüht, schön auszusehen, bearbeitet seine Fotos, begibt sich in „günstige“ Positionen. In einer Gemeinschaftsdusche findet man die Diversität, um die sich Medienschaffende oft eifrigst bemühen, ganz selbstverständlich. Die Realität ist noch immer die beste Fundgrube für realistische Körper.

Zurück zu den Wurzeln: Body Positivity ohne Internet?

Mir geht es hier überhaupt nicht um eine Kritik an Body Positivity. Mir geht es um eine Kritik an Social Media, und um Gedanken zu Body Positivity. Oft wird die Bewegung dafür kritisiert, dass sie sich von ihren intersektionalen Wurzeln entfernt habe, dass an die Stelle einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die die These aufstellte, dass Schönheitsideale neue Unterdrückungsformen des Patriarchats seien, der individualistische Liberalfeminismus getreten sei. Dünne Influencerinnen hätten die Bewegung okkupiert und kommerzialisiert, und inszenierten sich, als entspräche irgendetwas an ihrem Körper nicht der Norm, nur um von der Popularität der Bewegung zu profitieren. Auch die Mode- und Schönheitsindustrie sei auf den Zug aufgesprungen.

Den Kritiker*innen wird entgegnet, die Bewegung vermittele noch immer wichtige Inhalte, wie zum Beispiel, dass dick nicht gleich ungesund sei, oder dass Diäten zu essgestörtem Verhalten führen könnten – doch braucht man für diese Inhalte nicht Theorie und Wissenschaft? Können sie durch Fotos und eine kurze Caption überhaupt übermittelt werden? Vielleicht sollten wir Body Positivity einmal außerhalb des Internets denken: Was spricht gegen Seminare, Selbsthilfegruppen oder Lesekreise, bei denen man sich mit dem Thema auseinandersetzt? Wobei das möglicherweise ein ganz schön bildungsbürgerlicher Ansatz ist.

Zudem muss man den Ursprung allen Übels möglicherweise weniger im Internet suchen, sondern generell in Film und Fotografie. Im 19. Jahrhundert gab es die Vorstellung, dass ein Körper irgendwelche ganz bestimmten Maße haben muss, noch nicht, und Schönheit war genau so eine Frage des Charakters wie des Aussehens. Bereits die Aerobic-Videos, die in den 80ern im Fernsehen liefen, zeigten einen nicht-realen Körper, und arbeiteten fleißig an dem Idealbild der Sexyness mit, das seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts existiert. (Quelle: Eva Illouz, Warum Liebe weh tut)

Body Positivity dient uns als einziges Bollwerk gegen die unhinterfragten Normen und Ideale, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten in Zeitschriften und Fernsehsendungen bombardiert wurden, und mit denen wir auch heute im Internet ständig bombardiert werden. Doch ich weiß nicht, ob sie in ihrer jetzigen Form eine tatsächliche Lösung für das Problem mit den Körperunsicherheiten ist. Vielleicht sollten wir stattdessen alle mal einen alternativen Lösungsvorschlag in Betracht ziehen: Das Handy wegpacken, ins Freibad gehen, unter der Dusche den Badeanzug ausziehen, und uns dort wieder an realistische Körper gewöhnen.

Fotos: Hannah Burckhardt

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert