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Unvollständig und unkritisch? Kritik am Gutachten zur Umbenennung

Das im Mai 2022 erschienene Gutachten zur Bewertung der Namensgeber der Universität Tübingen, Graf Eberhard und Herzog Karl Eugen von Württemberg, stößt bei einigen Studierenden auf Ablehnung. Unsere Redakteurin hat mit Raphael Kupczik, Mitglied des Arbeitskreises Politische Bildung des StuRas, über Kritik am Gutachten, die grausamen Taten Herzog Karls, und die Forderungen der Umbenennungsbefürworter*innen gesprochen.

Der Senat der Universität Tübingen beauftragte 2021 eine Arbeitsgruppe, die beiden Herrscher auf den moralischen Prüfstand zu stellen. (Hier berichteten wir.) Schon seit über fünfzig Jahren fordern Studierende die Umbenennung der Universität, da Graf Eberhard Antisemit und Herzog Karl Eugen Autokrat gewesen sein sollen. Als das Gutachten im Mai 2022 erschien, waren viele Studierende mit dem Ergebnis unzufrieden.

Der Student Raphael Kupczik (23) ist aktiv im Arbeitskreis Politische Bildung des Studierendenrats, der sich für die Umbenennung der Universität einsetzt. „Wir freuen uns, dass überhaupt ein wissenschaftliches Gutachten erstellt wurde und die Diskussion somit vorankommt“, sagt er. „Trotzdem haben wir einige Kritikpunkte.“

Die Auswahl der Historikerinnen und Historiker, die das Gutachten erstellten, ist für Kupczik fragwürdig. Die Direktorin des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Universität Tübingen, Professorin Sigrid Hirbodian, leitete die Kommission. „Landeshistoriker*innen neigen dazu, Herrscher positiv darzustellen. Oft weil die Quellen sie so beschreiben“, erklärt Kupczik. Außerdem war keine jüdische Person in der Kommission, womit die Perspektive der Betroffenen außer Acht gelassen wird.

Tübingen nahm schon früher eine Vorreiterrolle bei Umbenennungsfragen ein. Im Jahre 1971 benannte sich das Institut für Volkskunde in Institut für Empirische Kulturwissenschaft um. Es war deutschlandweit das erste; letztes Jahr – fünfzig Jahre später – wurde die Deutsche Gesellschaft für Volkskunde in Deutsche Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft umbenannt.

Gewalt, Betäubungsmittel und Mord

„Zum Teil ist das Gutachten widersprüchlich“, merkt Kupczik an. „An einer Stelle heißt es, Eberhard hätte seine Entscheidungen autonom getroffen, weswegen er die Universität aus eigener Initiative gegründet hat. Doch dann meinen sie, er sei nur antijudaistisch gewesen, weil er von seinem Umfeld beeinflusst wurde.“ Der Arbeitskreis findet, das Gutachten relativiere die Taten der beiden Herrscher und sei im Allgemeinen zu unkritisch. „Manche Tatsachen wurden sogar komplett weggelassen“, merkt Kupczik an. Dass Karl Eugen mit Soldaten handelte, wird zwar erwähnt, allerdings wird nicht ausführlich darauf eingegangen. „Seine Taten waren so grausam, dass sie im Gutachten auf jeden Fall aufgezählt hätten werden müssen“, findet Kupczik.

Um Geld zu beschaffen, verkaufte Karl Eugen junge Männer als Soldaten an Krieg führende Staaten im Ausland. Zunächst suchte er nach Freiwilligen. Doch es meldete sich niemand, weswegen der Herzog anordnete, taugliche Männer mit roher Gewalt und sogar mit Betäubungsmitteln zu zwingen. In den 1750er Jahren verkaufte er die ersten zum Dienst gezwungen Soldaten. Folglich flohen immer mehr junge Männer, woraufhin der Herzog strenge Gesetze verabschiedete. Flüchtende, die gefasst wurden, wurden sofort umgebracht. Jemand, der einem flüchtenden Soldaten half, kam ins Zuchthaus und verlor das Bürgerrecht. Karl Eugen war es Recht, dass die meisten im Krieg starben, denn so musste er ihnen nie den Lohn auszahlen. „Von den Soldaten, die er an Indien verkaufte, kamen über 80 Prozent nicht zurück“, erzählt Kupczik.

“Tübingen ist sowieso schon in einer Vorreiterposition, da wir die ersten waren, bei denen die Forderung nach einer Umbenennung aufkam.”

Raphael Kupczic, Mitglied des Arbeitskreises für Politische Bildung

Forderungen der Umbenennungsbefürworter*innen

Dass die Universitätsleitung bei der Umbenennung zögerlich ist, kann die studentische Bewegung nicht verstehen. „Warum sollen Monarchen, deren Werte mit den heutigen nicht mehr vereinbar sind, noch Vorbilder sein?“, fragt Kupczik. Er findet, die Universität sollte den mutigen Schritt wagen und sich als eine der ersten Universitäten Deutschlands umbenennen. „Tübingen ist sowieso schon in einer Vorreiterposition, da wir die ersten waren, bei denen die Forderung einer Umbenennung aufkam. Ich denke, in den nächsten Jahren wird diese Debatte auch an anderen Universitäten geführt werden. Vor allem weil viele in Westdeutschland nach sehr alten, fragwürdigen Personen benannt sind“, meint der Student.

Seit den 70er-Jahren fordern Studierende, dass die Universität den Namen des Philosophen Ernst Bloch tragen soll. Doch dem Arbeitskreis für Politische Bildung geht es hauptsächlich darum, dass die Namen Eberhard und Karl gestrichen werden. „Ernst Bloch halte ich persönlich auch für unrealistisch. Das ist nur der Name, unter dem sich diejenigen zusammen gefunden haben, die für eine Umbenennung sind“, erklärt Kupcuik. „Mit dem Namen ‚Universität Tübingen‘ ohne Widmung wären wir ebenfalls zufrieden.“

Beitragsbild: Anne Burckhardt

Bild Schloss: Universität Tübingen

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