Politik

Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart

Spätestens die Falschnachrichten rund um den Ausbruch der Pandemie und die Querdenken-Bewegung haben Verschwörungstheorien wieder stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. In der Debatte um diese ist jedoch meist nicht klar, was eine Verschwörungstheorie eigentlich ausmacht und worin die konkreten Gefahren von Verschwörungstheorien bestehen. Näheres hierzu und zu der Frage, wie man mit jemandem, der an eine oder mehrere Verschwörungstheorien glaubt, am besten umgehen sollte, konnte man am Freitag den 05.11.2021 von Prof. Michael Butter bei seinem Vortrag „A New World Order? Verschwörungstheorien in den USA seit 9/11“ am Deutsch-Amerikanischen Institut erfahren.

Verschwörungstheorien gibt es in den vielfältigsten Ausprägungen. So kursieren seit Ausbruch der Sars-CoV-2-Pandemie diverse Verschwörungstheorien in den sozialen Medien, beispielsweise etwa darüber, dass die Impfung gegen Sars-CoV-2 nur ein Vorwand des Milliardärs und Philanthropen Bill Gates wäre, um möglichst vielen Menschen Mikrochips zu injizieren und so ihre Gedanken zu kontrollieren. Und auch wer nicht an solche Theorien glaubt, ist meist in irgendeiner Form von ihnen betroffen. Sei es, weil Freunde und Familienangehörige der ein oder anderen Theorie anhängen, oder allein deswegen, weil die offizielle Impfquote in Deutschland – auch aufgrund von Falschinformationen und Verschwörungstheorien – von der für eine Herdenimmunität notwendigen 80-Prozent Marke seit Monaten weit entfernt bleibt. Aber was genau macht eine Verschwörungstheorie aus und wie hat sich die Verbreitung und Bedeutung von Verschwörungstheorien im Laufe der Zeit gewandelt? Genau diesen und weiteren Fragen rund um das Thema Verschwörungstheorien widmete sich Michael Butter in seinem Vortrag „A New World Order? Verschwörungstheorien in den USA seit 9/11“.

Die Geschichte von Verschwörungstheorien: Über lange Zeit ein ganz normaler Bestandteil der Gesellschaft

„Es war über Jahrhunderte hinweg völlig normal, an Verschwörungstheorien zu glauben.“

Prof. Michael Butter, 5.11.2021

Gleich zu Beginn der Veranstaltung, welche am Deutsch-Amerikanischen Institut und in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung stattfindet, weist Butter, Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte am Englischen Seminar der Universität Tübingen, darauf hin, dass es für lange Zeit gar nichts Ungewöhnliches war, an Verschwörungstheorien zu glauben: „Es war über Jahrhunderte hinweg völlig normal an Verschwörungstheorien zu glauben, sowohl in den USA als auch in Europa“.

Sogar einige der frühen amerikanischen Präsidenten waren Anhänger von Verschwörungstheorien. So glaubte Abraham Lincoln, im Rahmen seiner Präsidentschaft Mitte des 19. Jahrhunderts daran gegen eine geheime Verschwörung von Befürwortern der Sklaverei zu kämpfen, welche die politischen Institutionen der USA bereits insgeheim unterwandert hätten. Ziel dieser Verschwörung, davon war Abraham Lincoln überzeugt, sei es gewesen, die Sklaverei auf geheimen Weg und unabhängig vom amerikanischen Bürgerkrieg auch in den amerikanischen Nordstaaten zu etablieren.

Erst in den 1960er-Jahren setzte eine allmählich zunehmende Stigmatisierung von Verschwörungstheorien ein, die dazu führte, dass diese zumindest aus dem öffentlichen medialen Diskurs immer mehr zurückgedrängt wurden. Einen maßgeblichen Beitrag leisteten hierbei die Sozialwissenschaften, deren Erkenntnisse ab den 1960ern zunehmend auch in breitere Gesellschaftsschichten durchsickerten, was maßgeblich dabei half, dass der Glaube an Verschwörungstheorien abnahm. Zwischen 1980 und 2015 waren es dann nach Butter auch hauptsächlich nur noch gesellschaftliche Randgruppen, die Verschwörungstheorien anhingen und sie weiterverbreiteten.

Die aufkommende Digitalisierung in den 2000er Jahren führte jedoch allmählich zu einem gegenläufigen Trend. Durch das Internet wurde es für Verschwörungstheoretiker*innen so leicht wie noch nie, sich untereinander zu vernetzen und Personenkreise zu erreichen, die andernfalls nie mit ihren Ideen in Berührung gekommen wären. Der technische Fortschritt fördert die Verbreitung von Verschwörungstheorien auch an anderer Stelle: So konnten durch immer günstigere Gestaltungsmöglichkeiten von Webvideos Verschwörungstheorien so anschaulich vor Augen geführt werden, wie es wohl zu keinem Zeitpunkt in ihrer Geschichte je der Fall war. Das Internet ermöglichte auch neue Medienangebote, sogenannte „alternative Medien“, welche Verschwörungstheorien – im Gegensatz zu den klassischen Medien – nicht stigmatisierten. So entstand auch die Onlineplattform „InfoWars“ um den amerikanischen Moderator Alex Jones, welcher sich schnell als ein führender Verschwörungstheoretiker in den USA etablierte.

Laur Prof. Butter ebenfalls ein Anhängern von Verschwörungstheorien: US-Präsident Abraham Lincoln (1809-1965)

Verschwörungstheorien seit 9/11

Die wohl bedeutsamste moderne Verschwörungstheorie in den USA, die von diesem Trend profitieren konnte, ist die Verschwörungstheorie um die Anschläge des 11. Septembers 2001. Mittels drei entführter Flugzeugen gelang es dabei der Terrororganisation Al-Qaida erst die zwei Türme des World Trade Centers in New York, sowie anschließend einen Teil des Pentagons zum Einsturz zu bringen. Die Verschwörungstheorie besagt dabei, dass hinter Anschlägen in Wahrheit die eigene Regierung und diverse Geheimdienste stecken würde.

Verschwörungstheorien wie diese zeichnen sich dabei durch drei zentrale Merkmale aus: Die Anhänger*innen glauben, dass innerhalb des Geltungsbereichs ihrer Theorie nichts aus Zufall geschieht, nichts ist, wie es scheint und dabei mehr oder weniger alles miteinander verbunden ist. Gerade die letztere Eigenschaft führt dazu, dass der Fantasie von Verschwörungstheoretiker*innen oftmals fast keine Grenzen gesetzt sind, und sie Zusammenhänge zwischen den verschiedensten Ereignissen herbeiinterpretieren, auch wenn diese teils Jahre auseinander liegen. So passten Verschwörungstheoretiker*innen rund um 9/11, als die USA im März 2003 in den Irak einmarschierten, ihre Theorien so an, dass sie die neueren Geschehnisse rund um den Irak als Teil ihrer Theorien berücksichtigen. Die Anschläge wurden von ihnen nun als Vorwand gedeutet, den die Regierung inszeniert hätte, um damit die spätere Invasion in ein ölreiches arabisches Land wie den Irak zu rechtfertigen.

Verschwörungstheoretiker*innen unterstellen damit aber auch, so erläutert Butter weiter, dass die Realität in einem Ausmaß planbar wäre, wie das selten der Fall ist. Unvorhersehbarkeiten und Zufälle machten den Erfolg vieler Verschwörungen, die sich tatsächlich ereignet haben, zunichte. Beispielsweise führte die gut dokumentierte Verschwörung britischer und amerikanischer Geheimdienste gegen den iranischen Premier Mossadegh, zu dessen Absetzung. Das kurzfristige Ziel der Verschwörung, eine weitere Nationalisierung britischer und amerikanischer Ölkonzerne zu verhindern, konnte dabei zuerst erfüllt werden. Langfristig erhielten anti-westliche und islamistische Bewegungen dadurch jedoch einen immer stärkeren Rückhalt in der iranischen Bevölkerung. Dies wiederum führte dann zur Revolution 1979 und einer drastischen Verschlechterung der amerikanisch-iranischen Beziehungen, welche bis heute nicht überwunden ist.

In dem Weltbild von Verschwörungstheoretiker*innen ist jedoch für solche Unvorhersehbarkeiten kein Platz. Als entsprechend unrealistisch und unglaubwürdig erweisen sich daher bei näherer Betrachtung auch ihre weiteren Behauptungen. So können Verschwörungstheoretiker*innen auch nicht erklären, wie es möglich sein soll, eine großangelegte Verschwörung wie etwa die Planung und Durchführung der Anschläge vom 11. September 2001 durch die US-Regierung geheim zu halten, ohne, dass seitdem ein einziger der tausend notwendigen Mitwissenden mit Informationen an die Öffentlichkeit getreten wäre.

Für den Umgang mit Verschwörungstheoretiker*innen im persönlichen Umfeld empfiehlt Butter trotzdem einen möglichst wenig konfrontativen Umgang. Sich mit Anhänger*innen einer Verschwörungstheorie in eine Diskussion über Wahrheit und Unwahrheit ihrer Überzeugungen zu begeben, würde diese darin oftmals nur weiter bestärken. Die Betroffenen verfallen dabei in einen Abwehrmodus, aus dem sie nur schwer wieder herausfinden. Stattdessen soll man die persönliche und emotionale Bindung zu Angehörigen nutzen und diese behutsam ermutigen, die eigenen Ansichten kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen. Hat sich der oder die Betroffene jedoch bereits stark zurückgezogen und kaum noch soziale Kontakte zu Personen außerhalb der Verschwörungsszene, sind die Chancen laut Butter nur noch gering, den- oder diejenige von dem Glauben an eine Verschwörungstheorie abzubringen.

Verschwörungstheorien rund um die Anschläge des 11. Septembers zählen zu den am weitesten verbreiten Verschwörungsnarrativen

Verschwörungstheorien und Radikalisierung

„Nicht alle Verschwörungstheorien sind gefährlich, aber Verschwörungstheorien können sehr problematische Folgen haben und eine davon ist, dass sie ein Katalysator für Radikalisierung sein können.“

Prof. Michael Butter, 5.11.2021

Dabei ist die Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien und ihren Anhänger*innen gegenwärtig zuletzt immer wichtiger geworden. Denn zwar gelang es den Verschwörungstheoretiker*innen rund um die Anschläge des 11. Septembers nie, ihre Ansichten für die bereitere Gesellschaft salonfähig zu machen, doch trotzdem sind Verschwörungstheorien und Verschwörungstheoretiker*innen in den USA seitdem wieder auf dem Vormarsch. Eine bedeutende Rolle spielte dabei der ehemalige US-Präsident Donald Trump. Bereits 2012 verbreitere er über seinen Twitteraccount die in rechtsextremen Kreisen populäre Verschwörungstheorie, dass US-Präsident Obama nicht in den USA geboren sei und daher auch nicht für das Amt des Präsidenten hätte kandidieren dürfen.

Trump versuchte dabei, den maximalen Nutzen aus dem Verbreiten von Verschwörungstheorien zu ziehen, und gleichzeitig das Risiko, dass die Anschuldigungen einmal auf ihn zurückfallen könnten, möglichst gering zu halten. Indem er immer wieder die Behauptungen von Verschwörungstheorien aufgriff und sie wiederholte, ohne dabei aber direkt auszudrücken, ob er von den Anschuldigungen selbst überzeugt sei, konnte er sich als späterer Präsidentschaftskandidat einerseits den Verschwörungstheoretiker*innen unter seinen Anhänger*innen anbiedern, ohne dabei aber zu riskieren, gemäßigtere republikanische Wähler allzu sehr zu verschrecken.

Die Ereignisse um Trump zeigen jedoch auch, wie Verschwörungstheorien zur Radikalisierung ganzer Personengruppen beitragen können. Als seine Anhänger am 6. Januar nach einer Rede in Washington versuchten, das US Capitol zu stürmen, kam es zu gewaltsamen Szenen, in deren Folge fünf Menschen starben. Für Butter sind Ereignissen um den 6. Januar daher auch ein Beispiel dafür, dass Verschwörungstheorien unter bestimmten Umständen zu einer gesteigerten Gewaltbereitschaft beitragen können, denn: „Nicht alle Verschwörungstheorien sind gefährlich, aber Verschwörungstheorien können sehr problematische Folgen haben und eine davon ist, dass sie ein Katalysator für Radikalisierung sein können.“

Trotzt solcher Ereignisse sieht Butter in Verschwörungstheorien und ihren Anhänger*innen jedoch keine unmittelbare Gefahr für die Demokratie in Deutschland: „Wir wissen, in der westlichen Welt in der Gegenwart sind besonders diejenigen für Verschwörungstheorien empfänglich, die schlecht mit Unsicherheit und Ambivalenz umgehen können, und die das Gefühl haben, einen Macht- und Kontrollverlust erlitten zu haben“. In den USA führe daher gerade auch die schlechtere wohlfahrtstaatliche Absicherung dazu, dass mehr Menschen für Verschwörungstheorien empfänglich werden. Aber auch das im durchschnittlichen Vergleich höhere Bildungsniveau in Deutschland ist mitverantwortlich dafür, dass Verschwörungstheorien hierzulande weniger weit verbreitet sind. Dementsprechend gibt Butter Entwarnung, was die Lage in Deutschland angeht; für die USA kommt er jedoch zu einer anderen Einschätzung: „Verschwörungstheorien in Deutschland sind, glaube ich, keine ernsthafte Gefahr für unsere Demokratie in Deutschland. In den USA müssen wir abwarten.“

Fotos: pixabay.com

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