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Neues aus der Forschung – der Kampf gegen den Krebs in Tübingen

Impfstoffe sind schon seit langem Teil unserer Medizin – nicht erst seit Corona! Da fragt man sich doch: Kann man auch gegen Krebs impfen? Das wäre doch “Toll”! Was “Toll”-like Rezeptoren und Tübinger Profesoren damit zu tun haben, erfahrt ihr im folgenden Artikel.

Mal eben schnell impfen

Bereits mehrfach immunisierte Professor Dr. Hans-Georg Rammensee sich selbst mit Peptiden, kleinen Proteinpartikeln. Schon 1996 hatte der heute 67-Jährige die Idee, mit mRNA zu impfen. Was für Coronaviren funktioniert, verspricht auch einen möglichen Therapieansatz im Kampf gegen den Krebs. Wir haben mit einem der weltweit renommiertesten Immunologen über mRNA-Impfstoffe und Krebstherapien gesprochen.

Wer steckt dahinter?

Hans-Georg Rammensee ist Professor für Immunologie am Interfakultären Zentrum für Zellbiologie in Tübingen. Für seine Forschung zu mRNA-Impfstoffen und auf dem Gebiet der Krebsimmuntherapie erhielt er 2020 den Landesforschungspreis Baden-Württemberg. Seine Motivation ist es, einen kleinen Beitrag zur Entwicklung der personalisierten Krebstherapie zu leisten.

Prof. Hans-Georg Rammensee forscht bereits seit über 30 Jahren in Tübingen zu Immunologie, insbesondere an Krebsimmuntherapie.

Eine Impfung gegen Krebs

Krebs zu therapieren gestaltet sich, je nach Art und Stadium, als eine der ungelösten Herausforderungen unserer Zeit. Es existieren zwar prophylaktische Impfungen, beispielsweise gegen Gebärmutterhalskrebs, doch therapeutische Impfungen blieben bislang immer erfolglos. Eine therapeutische Impfung bezeichnet einen Impfstoff, der bei bereits bestehenden Krebs zur Bekämpfung eingesetzt wird.

Das Problem bei der Entwicklung einer Impfung gegen Krebs ist, dass es kein universelles Krebsantigen gibt, sondern dieses bei jedem Patienten variiert. Dementsprechend muss die Therapie abgestimmt sein. Diese Prozedur lässt sich mit der Anpassung einer Brille vergleichen: das Gestell besteht zwar, aber die Gläser müssen in Abhängigkeit der jeweiligen Sehstärke an den Patienten angepasst werden. Gleiches gilt für die Krebsimmuntherapie. Die Antigene müssen auf jeden einzelnen Patienten zugeschnitten werden.

Die Kräfte des eigenen Körpers nutzen

Die Krebsimmuntherapie zielt darauf ab, das körpereigene Immunsystem im Kampf gegen Tumorzellen zu verwenden, indem Zellen des Immunsystems die vom Krebs betroffene Zelle erkennen. Geschädigte Zellen werden normalerweise von Zellen des Immunsystems erkannt und getötet. Bei Tumorzellen kann der Körper jedoch nicht mehr auf diese Mechanismen zurückgreifen.

Durch die Krebsimmuntherapie soll dieser körpereigene Mechanismus wieder aktiviert werden. Tumorzellen unterscheiden sich durch Antigene auf der äußeren Zellmembran von gesunden Zellen. Das Ziel ist es nun, T-Zellen zu aktivieren, die diese Tumorzellen erkennen. Fachsprachlich bezeichnet man Tumorzellen mit entsprechenden Antigenen als “Antigen repräsentierende Zelle”. Dafür können dem Patienten Proteine und Peptide verabreicht werden, die als Antigen das Immunsystem stimulieren. Wenn diese Peptide nun T-Zellen aktivieren, können diese auch Tumorzellen angreifen.

Die logistische Herausforderung

Hierfür muss eine Infrastruktur mit einer entsprechenden Datenbank der spezifischen Proteine aufgebaut werden. In Tübingen wurden über Jahre hinweg tumorspezifische Peptide analysiert. Eine Datenbank speichert diese Informationen sowohl für Tumorgewebe als auch für Normalgewebe. So können Gewebeproben von Patienten schnell abgeglichen werden. Innerhalb von zwei Tagen lassen sich fünfhundert bis zehntausend Peptidstrukturen für einen Liganden, der Andockstelle auf der Zelle, bestimmen.

“Toll!” – ein besonderer Rezeptor

Ziel des Forschungsteams ist es, einen Peptid-Impfstoff herzustellen, der eine Reaktion der T-Zellen auslöst. T-Zellen sind bestimmte Zellen des Immunsystems, die vom Knochenmark über den Thymus, einem kleinen, am Herzbeutel gelegenen Organ, in den Blutkreislauf wandern. Sobald sie im Blut auf Antigene treffen, die von Zellen repräsentiert werden, lösen sie eine Immunreaktion aus. Eine besondere Rolle in dem Forschungsteam um Professor Rammensee spielen die sogenannten “Toll-like” Rezeptoren. Diese wurden 1985 von der Tübinger Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard entdeckt. Nach ihrem begeisterten Ausruf “Toll!” bei der Entdeckung erhielt der Rezeptor seinen prägnanten Namen. Toll-like-Rezeptoren gehören zum Immunsystem. Sie dienen als ein möglicher Ligand für das Antigen, der die T-Zellen aktiviert.

Neugier und Wissenslust werden belohnt

Bereits während seiner Zeit als Zivildienstleistender kam Professor Rammensee in Kontakt mit Krebspatienten. Anschließend entschloss er sich, Biologie zu studieren, um Krebs auf zellularer Ebene verstehen zu können. Als er auf die Idee der Krebsimmuntherapie stieß, galt diese noch als realitätsfern. Erst vor knapp acht Jahren gewann das Konzept an Popularität.

Auch wenn die Krebsimmuntherapie noch weit davon entfernt ist, klinisch für eine breite Masse wirksam zu sein, bietet sie ein ungeheure Chance für zukünftige Heilungsmöglichkeiten an. Somit konstatiert der jahrelange Krebsforscher: Macht, was Euch interessiert. Und wenn Euch ein Problem begeistert, dann verfolgt dieses mit Ausdauer und Neugier. Auch wenn es zunächst unlösbar erscheinen mag.”

Beitragsbild: Angelo Esslinger über Pixabay
Foto von Prof. Rammensee: Armin Kübelbeck, CC BY-SA 4.0 über Wikimedia Commons

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