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Die Kupferblau Schmöker-Ecke: Familie und Freundschaft

Manchmal kann eine Pandemie alles verändern und es bleibt nicht mehr viel an kultureller Inspiration übrig. Oder? Damit ihr gut durch den Januar-Lockdown kommt, stellen wir für euch in unserer Artikelreihe „Die Kupferblau-Schmöker-Ecke“ regelmäßig thematisch abgestimmte Empfeh-lungen für Bücher, Podcasts und Serien zusammen. Das heutige Thema “Familie und Freundschaft” ist eine kulturelle Hommage an unsere Lieblingsmenschen.

Buch der Woche: “Die Einsamkeit der Primzahlen” – Paolo Giordano

Freundschaft ist einer der vielen Begriffe, die nicht leicht zu definieren sind. Jeder hat eine eigene Vorstellung von Freundschaft, die Bedeutung ist für alle unterschiedlich

Auch die Protagonist*innen von “Die Einsamkeit der Primzahlen”, Alice und Mattia, stehen vor diesem Problem. Sie brauchen einander, suchen einander, aber jedes Mal, wenn sie zusammen sind, können sie nicht in Worte fassen, was sie sich gegenseitig bedeuten und was sie von einander erwarten. Aus Angst, verletzt zu werden, lassen sie niemanden an sich heran, verletzen sich selbst – und verletzen sich gegenseitig.

Was kann Freundschaft bedeuten? Keine einfache Frage für die Protagonist*innen Alice und Mattia . © Pixabay

Protagonist*innen mit Kindheitstrauma

Dass sie diese Angst haben, ist nicht verwunderlich. Beide haben mit einem Kindheitstrauma zu kämpfen. Für Alice ist das ihr gelähmtes Bein, das sie sich bei einem ihrer ungewollten Skikurse zugezogen hat. Während des Unterrichts hatte sie sich in die Hose gemacht und sich so sehr dafür geschämt, dass sie sich vor ihrer Skiklasse versteckte und alleine nach Hause fahren wollte. Sie fiel, brach sich das Bein und blieb stundenlang in der Kälte liegen, ohne dass ihr jemand half. Wegen ihrer Beinlähmung fühlt sie sich oft hässlich und beobachtet. Mit der Zeit entwickelt sie eine Essstörung.

Mattias Kindheitstrauma besteht zum einen darin, dass er hochbegabt ist und ihn deshalb nur wenige Menschen wirklich verstehen. Zum anderen in einem Vorfall mit seiner Zwillingsschwester, die er trotz ihrer geistigen Behinderung auf einer Bank zurückzuließ. Eine fatale Entscheidung… 

Die Art und Weise, wie Alice und Mattia mit ihren Traumata umgehen, trägt zur besonderen Freundschaft der beiden bei. Im Laufe des Buches können wir diese zu verschiedenen Zeiten mitverfolgen: Im Kindheits-, Jugend- und Erwachsenenalter.

Freundschaft wie Zwillingsprimzahlen

Aber während dieser charakterbildenden Phasen bilden sie nie ein perfektes Paar. Es herrscht immer ein gewisser Abstand zwischen den beiden, als lebten sie unter einer Glasglocke: Sie erleben alles, aber aus der Ferne. Mattia, der spätere promovierte Mathematiker, bezeichnet die beiden deshalb als Zwillingsprimzahlen, da sich zwischen ihnen immer ein Leerzeichen befinde (11-13, 17-19 oder 39-41). 

Dem Autor Paulo Giordano ist es gelungen, diesen Raum zwischen den beiden so in Worte zu fassen, dass man sich bei dem Lesen des Buches zeitweise beklemmt und machtlos fühlt. Es fühlt sich an wie eine Einsamkeit, die man nicht auflösen kann. Mattia und Alice können die Lücke nicht füllen, aber wir Leser*innen auch nicht.

Dabei lässt das Buch die Leser*innen erleben, wie komplex Freundschaft sein kann. Und obwohl es keine eindeutige Antwort auf die Frage, wie man Freundschaft definieren kann, liefert, bringt es uns der Lösung einen Schitt näher: denn vielleicht ist der Versuch, Freundschaft in Worte zu fassen, wie eine Primzahl: Mit Worten kommt man nahe ran, aber man kommt nie ganz zum Kern.  Denn dieser Kern lässt sich nicht in Worte fassen – man muss ihn erleben. 

Serie der Woche: “Lost in Space – Verschollen zwischen fremden Welten”

Manchmal gibt es Tage, an denen läuft nichts nach Plan. Das mag sowohl auf das derzeitige Online-Semester zutreffen als auch auf bemannte Weltraummissionen. Eigentlich hatte die Familie Robinson geplant, als Teil einer Kolonist*innengruppe das Sternensystem Alpha Centauri zu besiedeln. Doch stattdessen müssen sie nun auf einem Planeten notlanden, der weder einen Namen noch eine stabile Umlaufbahn hat. Wem sie dort alles begegnen, hätten sie in ihren kühnsten Träumen nicht erahnt.

Will ist beeindruckt. Der Zwölfjährige, gespielt von Maxwell Jenkins, klettert als Erster durch die verklemmte Luke des notgelandeten Familienraumschiffes JUPITER 2 und erblickt eine fremde Welt. Was es da draußen wohl alles zu entdecken gibt? So fasziniert das jüngste Familienmitglied vom Unbekannten ist, so frustriert sind seine beiden Schwestern Penny (Mina Sundwall) und Judy (Taylor Russell). Schließlich sind sie buchstäblich lost auf diesem Planeten! Ganz davon abgesehen, dass ihr verschüttetes Raumschiff nicht mehr ansatzweise genügend Treibstoff hat, um weiter nach Alpha Centauri zu fliegen!

E.T., der Roboter

Der einzige Trostpreis ist, dass Will, seine Schwestern sowie seine Eltern hier nicht die einzigen Gestrandeten sind. Neben einer Handvoll anderer Kolonist*innen entdeckt Will im nahegelegenen Wald einen außerirdischen Roboter, dessen Schiff ebenfalls abgestürzt zu sein scheint. Obwohl ihm die fremde mechanische Kreatur anfangs noch große Angst einflößt, entwickeln die beiden eine besondere Verbindung, die an das SciFi-Franchise „E.T. – Der Außerirdische“ erinnert.

Aber kann das funktionieren? Kann ein Mensch mit einem außerirdischen Roboter befreundet sein? Was braucht es dafür? Gemeinsam mit dem jungen Will kann man als Zuschauer*in erfahren, was es heißt, eine Freundschaft aufzubauen. Am Anfang sind beide unsicher. Sie wissen nicht, wie sie einander begegnen sollen. Doch durch ehrliche Offenheit, Loyalität und die Geduld, Fehler zu verzeihen – also genau den Eigenschaften, die man hier auf der Erde mit Freundschaft verbindet – können die beiden gegenseitiges Vertrauen gewinnen und den gestrandeten Kolonist*innen so manches Mal aus der Patsche helfen.

Eine Freundschaft mit Startschwierigkeiten: Will und der Roboter © Netflix/Lost in Space Archive
Die (un)perfekten Eltern

Doch Lost in Space hat weitaus mehr zu bieten als eine außergewöhnliche Freundschaftsgeschichte. Es ist die wohl erste Serie auf Netflix, in der es um ein Science Fiction-Familienabenteuer geht. Wills Eltern Maureen (Molly Parker) und John Robinson (Toby Stephens) sind dabei im Privaten längst nicht so perfekt wie in ihren beruflichen Tätigkeiten. Mal mit voreiligen Entscheidungen, mal mit einer verheimlichten Tatsache werden die talentierte Ingenieurin und der entschlossene Navy-Soldat auch Lichtjahre entfernt von daheim mit denselben Problemen konfrontiert wie jede Familie auf der Erde. Damit schafft es die Serie, ein authentisches Bild von den Robinsons zu vermitteln, mit dem sich die meisten von uns identifizieren können.

Fremde Planeten, interstellare Raumschiffe und technisch überlegene Roboter – das scheint ein typisches Science Fiction-Setting zu sein. Was die Serie aber besonders macht, sind die Beziehungen und Handlungen der Figuren unter extremen, extraterrestrischen Bedingungen. Durch die einzelnen Perspektiven und Hintergründe der anderen Kolonist*innen bekommt die Handlung zudem ungeahnte Tiefe. Die ambivalente Dr. Smith (Parker Posey) oder der legere Schmuggler Don West (Nacho Serrichio) sorgen immer wieder für Erzählwendungen und Kliffhänger. Auch die visuellen Effekte der Serie lassen nichts zu wünschen übrig. Wer in diesen Tagen von einsamen Eiswelten, endlosen Wäldern oder fliegenden Leuchtquallen träumt, kommt hier definitiv auf seine Kosten. Da die Netflix-Serie ein Remake der US-Produktion „Verschollen zwischen fremden Welten“ aus den 1960ern ist, hat sich der Komponist Christopher Lennertz beim offiziellen Weltraumfeeling orientiert!

Auch Astronaut*innen bleiben nicht vor familiären Problemen verschont. © Netflix/Lost in Space Archive

Ob es die Robinsons gemeinsam mit den anderen Kolonist*innen und dem Roboter schaffen werden, ihre Mission fortzusetzen und wieder Kurs Richtung Alpha Centauri zu nehmen, kann man in zwei Staffeln herausfinden. Die dritte und finale Staffel wird noch in diesem Jahr auf Netflix ausgestrahlt. Also startet eurer Streaming-Raumschiff und hebt ab in die Weiten des Alls. Die Geschichte von LOST IN SPACE kann vielleicht keinen schiefgelaufenen Plan retten, aber das Potenzial von Improvisation und neuen Wegen aufzeigen. Wichtig ist nur, dranzubleiben und nicht aufzugeben. Dann können neue Freundschaften entstehen, unglaubliche Herausforderungen gemeistert und große Probleme gelöst werden. 

Film der Woche: “The Perks of Being a Wallflower”

Charlie steht nie im Rampenlicht. Er beobachtet lieber, bis er Freund*innen findet, die ihn voll und ganz teilnehmen lassen. Freund*innen, die ihn annehmen, die ihm das Besondere am Leben zeigen, obwohl sie alle mit ihren eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Der Film „The Perks of Being a Wallflower“ basiert auf dem gleichnamigen Bestseller-Roman von Stephen Chbosky. 2012 erschien die Verfilmung mit Emma Watson, Logan Lerman und Ezra Miller in den Hauptrollen und trägt im Deutschen den Titel „Vielleicht lieber morgen“. Es ist ein Film voller Musik, Kunst, Freundschaft und dem ganz normalen Leben in der High-School. In einer besonderen Weise betont er das Unnormale und lässt die Zuschauenden eine echte Freundschaft neu erleben.

Die Mauerblume als botanische Vorlage für Charlies Charakter © Pixabay
Vom Brief vor die Kamera

Der Roman basiert ausschließlich auf Briefen des jungen Charlies, die alle mit „Lieber Freund“ beginnen. Der Film kreiert genau dieses intime Gefühl. Charlies einziger bester Freund nahm sich ein Jahr zuvor das Leben und nicht einmal seine Familie versteht, wie ein weiterer tragische Tod aus seiner Kindheit, der seiner Tante, ihn noch heute prägt. Als er nun als Freshman die High School beginnt, ist sein Englischlehrer erst einmal sein einziger Freund – bis es Charlie gelingt, sich zu öffnen und die ersten Schritte einer wunderschönen Freundschaft zu wagen – mit all denen, die genauso anders und doch normal sind wie er selbst.

Die Welt in Charlies Augen

Die Welt in Charlies Augen zu sehen bedeutet, die kleinen Dinge, die wichtigen Dinge im Leben zu erkennen und schätzen zu lernen. Was allerdings, wenn die Vergangenheit einen noch immer prägt, wenn man nie teilnehmen durfte und nie wirklich genug war? Was, wenn man nicht normal ist wie die anderen? Die Freundschaft zwischen Charlie und seinen Freund*innen beantwortet zwar nicht all diese Fragen, doch sie halten einander. Es ist Freundschaft, die fest an das Potential der einzelnen Freund*innen glaubt und manchmal ist das alles, was man braucht. “The Perks of Being a Wallflower” zeigt, dass es okay ist, anders zu sein und dass gute Freund*innen immer für einen da sind. Es ist ein Film, der tief berührt und es trotzdem warm ums Herz werden lässt.

Buch der Woche: Irene van Ilgen

Serie der Woche: Hagen Wagner

Film der Woche: Hannah Krämer

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