Unileben

Lasst uns den Kommerz!

Es gibt tatsächlich Menschen, die kein Weihnachten feiern. Nicht, weil ihnen giftgrünes Fell aus der Haut oder Weihnachtshass aus dem Herzen sprießt. Sondern, weil sie nicht glauben. Weder an den bärtigen Geschenkeüberbringer noch an den gelockten Menschenretter. Ein Kommentar.

Fragt man, was wir an Weihnachten machen, ist es so, als frage man, was wir nächsten Dienstag machen. Nur, dass wir nächsten Dienstag wahrscheinlich mehr vorhaben. Wir, die christenferne Glaubensschicht oder gar glaubensferne Christenschicht, eint das gemeinschaftliche Nichtstun an Heiligabend, Weihnachten und Stephanstag. Was sollen wir auch großartig feiern? Die dreitägige Abwesenheit der christlichen Bevölkerung? Leergefegte Straßen oder das Stehen vor verschlossener Haustüre, hinter denen Privatpartys zu Ehren Jesu Christi stattfinden? Schöne (Feier-)Tage!

Fragt man stattdessen, was wir während der Vorweihnachtszeit machen, werden wir wohl das Gleiche antworten wie die Fragenden selbst: Wir besingen Wham!s nie enden-wollenden Liebeskummer, infolge er, alle Jahre wieder, sein Herz dieser einen besonderen Person schenkt (obwohl er es allmählich besser wissen müsste). Wir starren den Vanillekipferln im Ofen misstrauisch entgegen, damit diese ja nicht den gewünschten Bräunungsgrad überschreiten. Auf uns warten Schoko-Nikoläuse in Reih’ und Glied, freundlich lächelnd, auf ihre Enthauptung. Und der Becher Glühwein wärmt unsere gebetsfaulen Hände. Ja, wir sind nicht mit Weihnachten, sondern mit dessen Kommerzialisierung aufgewachsen. Die Vorweihnachtszeit, so haben wir gelernt, kann man sich ganz leicht Zimtstern für Zimtstern dazukaufen, ohne gleich zum Christentum konvertieren zu müssen.

Spätestens jetzt müssten sich bei den ein oder anderen kampfeslustigen Weihnachtspurist*innen die Nackenhaare aufstellen. Wagen Nicht-Christ*innen sich doch tatsächlich an bunt flackernden LED-Lämpchen und Marzipankartöffelchen zu ergötzen.

„Alles Kommerz!“,

werden sie aufschreien. Immerhin soll das Weihnachtsfest der Geburt ihres menschgewordenen Gottes gedenken und Möglichkeit geben, zu lieben: Sich selbst und einander  ̶  wenn’s denn sein muss, mit Geschenken. Auch Corona mit seiner Zwei-Hausstände-fünf-Personen- Regelung musste dies verstehen und ehrfürchtig weichen. Doch nun droht der Geist der Weihnacht zur besinnlichsten Zeit des Jahres zu zerbersten: Wegen eines Vollbart-tragenden Truckfahrers, der sich am Steuer mit dem Softgetränk seiner Wahl betrinkt. Zum Teufel nochmal mit dieser, von Profitgier getriebenen, kapitalistischen Missionierung, deren Anhänger*innen nun nicht mehr nur Gleich-, sondern auch Anders- oder Nichtgläubige sind.

Wenn wir monatelang eure überschwängliche Weihnachtseuphorie gutheißen müssen und dann nicht einmal auf eure riesige Party eingeladen sind, so dürfen wir, die Nicht-Weihnachtsfeiernden, nun einwerfen: „Dann lasst uns doch wenigstens den Kommerz!“ Denn dieser ermöglicht es uns auch ein Stück vom (Leb-)Kuchen abzubekommen. Habt keine Sorge, Weihnachten werden wir euch nicht stehlen. Höchstens die letzte Packung Dominosteine aus dem Supermarktregal. Stört euch also nicht daran, wenn wir fünfzig Euro gegen fünf Kilo Spekulatius eintauschen. Ihr liebt Jesus, wir den Zimtgeschmack! Wir haben verstanden: Weihnachten ist nicht käuflich. Ihr habt verstanden: Der Advent schon.

Und so schreitet der gewöhnliche Alltag jener voran, die fernab des Christentums leben und an deren Weihnacht Socken aufgehängt werden. Aber nicht etwa in der Hoffnung, dass sie am nächsten Morgen reichlich befüllt sind – sondern trocken.

Fotos: Jasmin Tran

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