Kultur

„Good Economics for Hard Times” – Eine Diskussion mit Esther Duflo

Social Distancing und Homeoffice halten uns nicht davon ab, die drängenden Fragen unserer Zeit zu diskutieren. Vor allem, wenn es um die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19 Pandemie geht, ist es unumgänglich. Esther Duflos’ Vortrag vom 22.05. beim diesjährig erstmals online veranstalteten Hay-Festival passt dabei gut zu #LeaveNoOneBehind. Denn die Corona-„Krise“ rückt ins Scheinwerferlicht, was ohnehin schon im Argen liegt.

2019 gewann Esther Duflo zusammen mit Abhijit Banerjee und Michael Kremer den Nobelpreis für Wirtschaft. Die drei forschen zur Armutsbekämpfung mit unkonventionellen Methoden und teils heftigem Gegenwind. Dabei ist ihr Anliegen simpel. Auch Entwicklungshilfe sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend geplant und vor allem evaluiert werden.

Letzten Herbst veröffentlichten Duflo und Banerjee ihr neuestes Buch unter dem Titel „Good Economics for Hard Times“, anlässlich dessen Duflo als Sprecherin zum Hay-Festival eingeladen wurde. Ihr Buch bespricht die Zusammenhänge zwischen der Weltwirtschaft und Problemen unserer Zeit wie Migration, die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich und den Klimawandel. Im Fokus steht dabei auch die Frage, wie Ökonom*innen ihre erodierte Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und der Flut der Fake Facts den Kampf ansagen können.

„There are no iron laws of economics keeping us from building a more humane world“ – Duflo, Banerjee (Good Economics for Hard Times, 2019)

Duflo und Banerjee erheben dabei nicht den Anspruch, eine Universallösung für die missliche Lage unseres Planeten zu haben. Doch die Daten, die sie auf der Mikroebene erheben sind bereits in der Lage, allgemeine Fehlannahmen zu entlarven. Erstaunlicherweise wohnt dem Ganzen ein Optimismus inne, der eine Chance ist. Sowohl für die umsonst Besorgten, als auch für diejenigen, um deren Überleben es geht.

Ökonomin Esther Duflo.

Was Entwicklungshilfe kann und was nicht

Bekannt ist Duflos kritische Einstellung zu Mikrokrediten. Diese seien nicht unwirksam, aber vollbringen auch keine Wunder. Sie mildern ärgste Armut, aber eine nachhaltige messbare Verbesserung von Wohlstand und Wirtschaftskraft lässt sich nicht belegen. Eine weitere Tatsache, die vielen nicht bewusst ist, sei der geringe Anteil an Spenden von externen Gebern im Vergleich zu dem, was Entwicklungsländer selbst aus dem eigenen Staatshaushalt für Entwicklung ausgeben. Duflo bemängelt außerdem die teilweise bis heute nicht stattfindende Evaluation internationaler Entwicklungsprogramme.

Die Nobelpreisträgerin verfolgt in ihrer Forschung im Abdul Latif Poverty Action Lab eine Methodik, die man aus der Erforschung von Impfstoffen kennt. Sie basiert auf zufällig ausgewählten Vergleichsgruppen, die unterschiedlich behandelt werden. Solche Studien, wie sie zum Beispiel unter Friseuren in Sambia durchgeführt wurden, haben ergeben, dass soziale Anerkennung in der Lage ist, Menschen weit mehr zu motivieren als ein höheres Gehalt. Gleichzeitig erzählt Duflo, dass man feststellen kann, dass Topverdiener nicht weniger arbeiten, wenn sie höhere Steuern zahlen müssen. Dass derartige Ergebnisse oftmals überraschen, zeigt wie viel begleitende Forschung in der Entwicklungshilfe ausmachen kann.

Schreckgespenst Migration

Ein Argument, das gerne von Gegnern der europäischen und amerikanischen Migrationspolitik angeführt wird ist, dass unausgebildete Geflüchtete und Migranten den lokalen Niedriglohnarbeitern ihre Arbeitsplätze streitig machen. Duflo behauptet, historisch betrachtet und den Ergebnissen empirischer Studien zufolge, sei dies nicht der Fall. Im Gegenteil: Migration habe entweder keine oder sogar positive Auswirkungen für die Empfängerregionen. Wie das Beispiel der türkischen Gastarbeiter in Deutschland zeige, gebe es lediglich eine Hierarchieverschiebung. Während die neu Dazugekommenen an untererster Stelle anfangen müssten, stiegen die ehemals Unterersten automatisch auf. In den ärmeren Vierteln amerikanischer Großstädte konnte man beobachten, dass die gesamte untere soziale Schicht von Zuwanderung profitieren kann, weil sich dort  alltägliche Dienstleistungen vergünstigten.

Ein Plädoyer für die Empirie

Ein Plädoyer für Empirie mag ironisch sein. Worauf sonst sollte man seine Erkenntnisse stützen? Fakt ist jedoch, dass selbst Statistiken, nüchterne Zahlen, ihre Überzeugungskraft scheinbar verloren haben. Es wird ihnen schlicht und ergreifend nicht mehr geglaubt. Ihre Macher werden in ihrer Vertrauenswürdigkeit angezweifelt und alternative Erklärungsmodelle bis hin zu Verschwörungstheorien werden gesponnen. Und doch seien diese Ergebnisse die einzige Waffe, die man habe, wenn man als Wirtschaftswissenschaftler*in die Skeptiker überzeugen will, erwiderte Duflo auf eine Frage aus dem virtuellen Publikum.

Ihr geht es nicht darum, den Super-Reichen ins Gewissen zu reden! Sie sieht ihre eigene Disziplin in der Verantwortung, ihre schlechte Reputation loszuwerden, indem sie sich die Zeit nimmt, ihre Erkenntnisse hinreichend zu erklären. In der Hoffnung auf diese Weise den Fake Facts ihren Reiz zu nehmen, der darin besteht, Sündenböcke für die eigene missliche Lage zu finden. Es geht um die Selbstermächtigung der strukturell Schwachen mündig und wachsam zu beobachten, was falsch läuft und wo man nachhaken und eingreifen muss.

Generell, so Duflo, könne man beobachten, dass Ökonomen hinsichtlich der weltweiten wirtschaftlichen Lage optimistischer seien als die Weltbevölkerung. So das Ergebnis einer ständigen Umfrage der Chicago Economic School unter führenden Wirtschaftsexperten, von denen viele im Übrigen Migration, CO2-Steuer und eine höhere Besteuerung der Reichen befürworten. „Good Economics for Hard Times“ sind keine kurzfristigen Rettungsmaßnahmen für den Wohlstand der Wenigen. Es sind Vorschläge für eine nachhaltige Wirtschaft der Zukunft, von der alle profitieren.

Fotos: Alexander Mahmoud: Esther Duflo. 2019. © Nobel Media,
               Randy Tarampi on Unsplash

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